Der größte Tasten-Tiger

Der wohl berühmteste Pop-Star der E-Musik gab in der Meistersingerhalle ein umjubeltes Konzert
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Chinas freundlichster Botschafter: Lang Lang. Der zweifellos populärste Mann am Klavier zeigte bei seinem zweiten Nürnberger Auftritt in dieser Saison recht deutlich, warum das so ist.
dpa Chinas freundlichster Botschafter: Lang Lang. Der zweifellos populärste Mann am Klavier zeigte bei seinem zweiten Nürnberger Auftritt in dieser Saison recht deutlich, warum das so ist.

NÜRNBERG Er ist zweifellos der populärste Mann am Klavier, der amtierende Sieger im Flügel-Sturm, und zeigte bei seinem zweiten Nürnberger Auftritt recht deutlich, warum das so ist: Lang Lang, Chinas freundlichster Botschafter auf dem Weltmarkt, hatte beim Hörtnagel-Konzert erstmals die Meistersingerhalle ganz für sich.
Für einen auf hohem Niveau fixierten Klavierabend entlang seiner aktuellsten CD-Produktion aus dem Wiener Musikverein – immer auf den Hinweis bedacht, dass hinter jeder Artisten-Nummer eine Ahnung von Träumerei lauert. Weil er aber der Pop-Star der E-Musik ist, erlaubt er dem Hörer jederzeit, schon mit dem Blick auf die Pracht-Fassade des Kunstwerks glücklich zu werden. Die Fans belohnten es mit Applaus zwischen den Sätzen.


Vorige Woche in München war Sonnyboy Lang Lang kurzfristig missgelaunt, als Journalisten von ihm eine Meinung über seinen verhafteten und verschleppten Landsmann Ai Weiwei hören wollten. Er rede nur über Musik, nicht über Politik. Für die Politik spielt er allerdings schon, wenn die Gelegenheit prestigeträchtig genug ist.
Der junge Mann, der sein „Wunderknaben“-Image so mühelos gleitend ins Erwachsenen-Leben eines 28-Jährigen überführt, ist eben Pragmatiker. Den gesellschaftlichen Umständen passt er sich an, in der Auseinandersetzung mit der Musik zeigt er mehr Selbstbewusstsein. Da zog er auch bei seiner Nürnberger Gala die Heroen von Beethoven bis Prokofieff mit festem Zugriff heran an den eigenen Virtuosen-Baukasten. Unrecht tut er ihnen keineswegs, er macht mit seinen rasanten Möglichkeiten, die Extreme auszureizen, einfach stets alles etwas markanter.
Was immer zu rekordverdächtigen Sprint-Einlagen und dem Gegengewicht beschwörender Beruhigung führt, wo der eben noch lustvoll explodierende Tasten-Tiger schnurrend jeden einzelnen Finger zum Streicheln einsetzt.


Bach und Schumann, mit denen er in München die Kritiker entzweite, ließ er weggepackt. Dafür gehörte die erste Konzerthälfte ganz Beethoven. Dessen Sonate Nr. 3 und die „Appassionata“ ging er nach gleichem System an – erst gesprungen und dann getupft. Technisch kann Lang Lang sowieso alles. Was die Empfindsamkeit betrifft, neigt er eher dazu, alles zu behaupten. Stürmische Brillanz im Kopfsatz, radikale Entschleunigung als Folge und dann zum Finale immer die Symbiose von Pyromane und Brandmeister.
In der zweiten Hälfte des Programms war er mit der „Iberia Suite“ des in Frankreich von Spanien träumenden Isaac Albéniz in einem Labyrinth von Sound-Entwicklung unterwegs. Bei Prokofieffs Sonate Nr. 7 schob er entspannenden Gershwin-Swing unter die aggressiven Attacken. In beiden Fällen höchste Anforderungen, aber beim Klavierspieler keine Spur von Konditionsschwäche.
Wo ältere Großmeister ihre Konzentrationsspannung samt einer Ahnung von Schweißausbruch übertragen, lädt der gern mit geschlossenen Augen spielende Lang Lang zu Kontemplation mit Salto auf dem Trapez. Er wird wohl nie abstürzen.


Weil am Sonntag die HNO-Ärzte frei hatten, waren die Patienten massenweise zum Abhusten ins Konzert gekommen. Alfred Brendel wäre daran verzweifelt, Lang Lang verzog keine Miene und verbeugte sich rituell nach allen Richtungen. Zugabe-Blitzlicht am Ende: Eine munter effektgebeutelte Chopin-Etüde, des Meisters Credo als Extrakt.

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