Der erste Gletscher ist bald verschwunden

In Bayern gibt es fünf Gletscher. Noch. Denn der am Watzmann wird die nächsten zehn Jahre nicht überleben. Im AZ-Gespräch blickt ein Forscher in die Zukunft.
von  Julia Lenders
Das Blaueis in den Berchtesgadener Alpen ist der nördlichste Gletscher der Alpen. Hier ein Foto aus dem Jahr 1980.
Das Blaueis in den Berchtesgadener Alpen ist der nördlichste Gletscher der Alpen. Hier ein Foto aus dem Jahr 1980. © Archiv KEG (1980)

München - Der Münchner Geograph Wilfried Hagg hat für seine Doktorarbeit den Gletscherschwund in den Alpen mit der Lage in Zentralasien verglichen.

Zwei Jahre lang erforschte er danach insbesondere das ewige Eis in Bayern – in Kooperation mit der „Kommission für Erdmessung und Glaziologie“ (KEG) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Die Ergebnisse flossen in den ersten bayerischen Gletscherbericht ein. Die AZ hat mit dem Wissenschaftler gesprochen.

AZ: Dieser Winter ist hart und lang und geht vielen auf die Nerven. Hat das wenigstens den bayerischen Gletschern etwas gebracht?

WILFRIED HAGG: Ich fürchte nein. Die Temperatur im Winter hat sehr wenig Auswirkungen auf den Gletscher. Entscheidend ist die Schneefallmenge. Und die ist nicht aus dem Rahmen gefallen.

Es gibt fünf bayerische Gletscher: Nördlicher und Südlicher Schneeferner, Höllentalferner, Blaueis und Watzmanngletscher. Wie viel Masse verlieren sie pro Jahr?

Man kann sagen: Sie büßen Pi mal Daumen einen Meter Eis pro Jahr ein. Insofern sind auch Prognosen möglich: Wenn man weiß, wie dick sie an ihrer dicksten Stelle noch sind, kann man in etwa abschätzen, wie lange das Eis noch hält.

Im Langzeit-Vergleich hat auch ihre Fläche stark abgenommen, oder?

Das stimmt, im Jahr 1820 bedeckten sie noch vier Quadratkilometer. Jetzt sind es nicht mal mehr 0,7. Sie reagieren damit noch deutlich stärker als der alpenweite Durchschnitt.

Welcher von Bayerns Gletschern verschwindet zuerst?

Momentan sieht es danach aus, dass wir den Watzmanngletscher zuerst verlieren. Der hat sehr schlechte Zukunftsprognosen und war schon immer der klimasensibelste. Er war sogar schon einmal verschwunden. 1950 gab es eine Gletscherinventur von einem Professor Finsterwalder, der Bayerns Gletscher vermessen hat. Den Watzmanngletscher ließ er damals weg, weil er in einzelne Firnflecken zerfallen war. Dann hatte er aber starke Zuwächse und zehn Jahre später wurde er wieder in die Liste aufgenommen.

Was heißt schlechte Prognosen? Wie lange gibt’s den Watzmanngletscher noch?

In wenigen Jahren wird er verschwunden sein. Das dauert keine zehn Jahre mehr.

Was macht ihn so anfällig?

Der Grund ist seine niedrige und flache Lage. Sein höchster Punkt liegt nur auf etwa 2100 Metern.

Und welcher bayerische Gletscher macht’s am längsten?

Das gesündeste Erscheinungsbild zeigt seit längerem der Höllentalferner. Der hat typische Merkmale eines aktiven Gletschers: Im Vorfeld sind Moränenablagerungen aus junger Zeit, im oberen Bereich liegt selbst im Spätsommer noch Schnee und Firn vom vorigen Winter. Und er besitzt Gletscherspalten, die beweisen, dass er auch noch in Bewegung ist. Auch hier eine Prognose zur Lebensdauer, bitte. Schwer zu sagen. Das ist davon abhängig, wie sich der Niederschlag in Zukunft entwickelt. Der Höllentalferner liegt in einem Kar und bekommt sehr viel zusätzliche Nahrung in Form von Lawinen. Er wird wahrscheinlich auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts noch existieren, aber das Ende nicht mehr erleben. In den 1960er, 1970er Jahren sind Bayerns Gletscher sogar gewachsen.

Woran lag das, und könnte so eine Phase nicht wieder kommen?

Das lag daran, dass es über zwei Jahrzehnte eine gletschergünstige Witterung mit relativen kühlen Sommern gab. Man geht heute davon aus, dass das mit der starken Luftverschmutzung in dieser Zeit zu tun hatte. Die Schmutz-Partikel haben weniger Sonnenlicht zur Erde durchgelassen. Sie haben es abgeschirmt, ganz ähnlich wie das auch bei großen Vulkanausbrüchen schon der Fall war. Insofern wäre es nicht wünschenswert, wenn sich so eine Phase wiederholt. Dann doch lieber saubere Luft.

Was bedeutet es für Bayern, wenn die Gletscher weg sind?

In erster Linie bedeutet es den Verlust eines typischen Landschafts-Bestandteils im Hochgebirge. Die Naturgefahren in Form von Steinschlag und Felsstürzen werden sich höchstens lokal erhöhen. Da sind bei uns aber keine Siedlungen betroffen, sondern eher Bergsportler. Und regionale Auswirkungen auf den Wasserhaushalt in den Flüssen sind auch nicht zu erwarten, weil die Gletscher dafür einfach zu klein sind. Die Folgen des Abschmelzens halten sich in Bayern also sehr in Grenzen. Nur dass man halt irgendwann auf der Zugspitze am Schneeferner nicht mehr Skifahren kann... Dort haben die Gletscher natürlich auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Auf dem Eis bleibt der Schnee länger liegen, so dass die Skisaison länger andauern kann. Vom Nördlichen Schneeferner gab’s übrigens im Jahr 2007 ausnahmsweise mal gute Nachrichten.

Und zwar?

Wir haben erstmals Messungen mit einem Radargerät durchgeführt, um seine Eisdicke zu erheben. Dabei hat sich herausgestellt, dass er an der dicksten Stelle noch 52 Meter misst. Eigentlich dachte man, er sei deutlich dünner. Das hat seine Zukunftsaussichten also deutlich verbessert.

Sie haben ja erklärt: Jedes Jahr fällt ein Meter weg. Also sind wir jetzt bei 46 Metern.

So ungefähr.

Das bedeutet auch, dass Sie als bayerischer Gletscherforscher noch keine Angst um Ihren Beruf haben müssen.

Die Gletscher werden für meinen Beruf bis zur Rente reichen – sogar in Bayern.

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.