Der Depressions-Atlas Bayern
München - Schon wieder früh aufstehen, eigentlich will man im Bett liegen bleiben – am besten den ganzen Tag. Motivation? Die ist schon lange weg. Immer mehr Arbeitsplätze bleiben in Deutschland wegen Depressionen leer. Und immer mehr Menschen greifen zu Antidepressiva. Das hat die Techniker Krankenkasse (TK) nun in ihrem Depressionsatlas 2015 ermittelt. Die AZ stellt vor, wie es in Bayern und München aussieht und welche Berufe besonders gefährdet sind.
Die Ergebnisse
Die Fehltage wegen Depressionen in Deutschland sind zwischen 2000 und 2013 um fast 70 Prozent gestiegen. Im Durchschnitt war demnach jeder Erwerbstätige einen Tag aus diesem Grund krank. Dazu nehmen sechs Prozent der Erwerbstätigen Tabletten gegen die Dauer-Niedergeschlagenheit ein. Auch diese Zahl ist um ein Drittel gestiegen. Bedeutet das nun, dass die Mehrheit der Deutschen depressiv ist? Nein, das heißt es nicht. Denn: Insgesamt wurden laut der Techniker Krankenkasse nur 1,6 Prozent der Erwerbstätigen wegen einer Depression krankgeschrieben. Die hohe Zahl der Fehltage kommt dadurch zustande, dass depressive Menschen häufig sehr lange ausfallen. Im Jahr 2013 waren es im Durchschnitt 64 Tage.
Von einer Volkskrankheit könne deswegen nicht gesprochen werden, so der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, gestern bei der Vorstellung der Studie. Auf alle Arbeitnehmer hochgerechnet entsteht der Wirtschaft dadurch ein Schaden von rund vier Millionen Euro. Im Depressionsatlas wird die Zunahme der Fehltage theoretisch weitergerechnet: Wenn sich der Trend fortsetzt, könnten Depressionen im Jahr 2030 die häufigste Krankheit in den Industrienationen sein.
Bayern
Der Freistaat liegt – wie auch die südlichen Nachbarn in Baden-Württemberg – unter dem deutschlandweiten Schnitt bei den Fehltagen: Jeder erwerbstätige Bayer fehlt wegen Depressionen statistisch gesehen 0,9 Tage im Job. Das sind etwa 15 Prozent weniger als der deutsche Schnitt. Die Bayern setzen offensichtlich mehr auf Durchhalten als Daheimbleiben: Nur 1,4 Prozent waren wegen einer Depression krankgeschrieben. 6,1 Prozent nahmen Antidepressiva ein – etwas mehr als der deutsche Durchschnitt.
München
In der Landeshauptstadt sieht es anders als in anderen Großstädten wie Hamburg oder Berlin bei den Krankschreibungen gut aus. Wie auch im bayernweiten Durchschnitt bleiben dort Erwerbstätige 0,9 Tage wegen einer psychischen Störung zu Hause.
Die Regionen
Aber nicht überall im Freistaat ist das so. Während die Menschen etwa in Garmisch-Partenkirchen oder auch im Kreis Neustadt an der Waldnaab im Bayern-Schnitt liegen, leiden Arbeitnehmer im Landkreis Regen und im Amberg häufiger an Depressionen – mit durchschnittlich zwei Fehltagen. Amberg liegt auch bei den Antidepressiva vorne: 8,9 Prozent. In Schweinfurt und Dachau (0,5), Neu-Ulm (0,6) oder auch Ansbach (0,7) sind die Fehltage am geringsten.
Gefährdete Berufe
Der Depressionsatlas sagt: Am häufigsten sind Menschen von Depressionen betroffen, die in einem Callcenter oder für Kunden-Hotlines arbeiten. Sie fehlen im Durchschnitt 2,8 Tage im Job. Besonders belastet sind aber auch Altenpfleger (2,5 Fehltage) sowie Krankenpfleger (1,9) und Erzieher (1,6).
Weniger belastet sind dagegen solche, die an der Universität arbeiten. Nur 0,55 Prozent von ihnen sind depressiv. Ihre Fehltage-Rate: 0,29. Auch Ärzte sind weniger gefährdet: Nur 0,72 Prozent sind depressiv.
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Mann und Frau
Wer leidet häufiger an Depressionen, Mann oder Frau? Es sind: die Frauen. Sie sind 1,3 Tage wegen Depressionen krank, Männer 0,8 Tage. Die greifen im Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern häufiger zu Tabletten: 4,6 Prozent. Die Bayerinnen liegen mit 7,8 Prozent im Frauen-Durchschnitt Deutschlands.
Die betroffensten Orte
Er ist als der grüne Landkreis bekannt: In Merzig-Wadern im Saarland fehlt umgerechnet jeder Arbeitsnehmer durchschnittlich 1,7 Tage pro Versicherungsjahr wegen Depressionen. Dicht gefolgt von Lübeck, Neumünster, Bad Segeberg, Duisburg, Gelsenkirchen, Herne, Bielefeld und Oberhavel (1,6 Fehltage). Spitzenreiter unter den Bundesländern ist Hamburg (1,42) vor Schleswig-Holstein (1,26).
Die gelassensten Orte
Wegen Depressionen zu Hause bleiben? Es gibt zwei Orte in Deutschland, da kommt das so gut wie gar nicht vor. Einer davon liegt in Oberfranken: Kulmbach. Dort liegen die Fehltage im Durchschnitt bei 0,3 Tagen. Geringer ist die Zahl nur im thüringischen Greiz im Vogtland (0,2). Aber die Zahlen der Techniker Krankenkasse zeigen eben auch: In der fränkischen Stadt Kulmbach nehmen 5,5 Prozent der Erwerbstätigen Antidepressiva ein.
Die Erhebung
Wie ergeben sich die vorgestellten Zahlen? Wer eine Depression hat, bleibt vom Job zu Hause oder nimmt Antidepressiva ein und geht trotzdem in die Arbeit. Deswegen hat die Techniker Krankenkasse (TK) sowohl die Arbeitsunfähigkeit, gemessen an den Arbeitsfehltagen, sowie die Zahl der verschriebenen Arzneimittel zwischen 2000 und 2013 ausgewertet. Insgesamt flossen in den Atlas Daten von 4,11 Millionen Erwerbspersonen ein.
Die Definition
Die TK zieht für ihren Depressionsatlas die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heran. Depression ist demnach eine „psychische Störung“ mit vielen Symptomen wie Traurigkeit, Interesselosigkeit, Schuldgefühlen und geringem Selbstwertgefühl, aber auch Schlafstörungen oder Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten.
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