Der Deifel hat sie geholt
NÜRNBERG - Andrea Maria Schenkels Krimi-Bestseller „Tannöd“ als Bühnen-Ballade im Fürther Theater: Nische für Mysterienspiel und Schulfunk
Das könnte auch die Kulisse für einen Gruselfilm sein: Gestapelte Kirchenbänke, schwebende Licht-Kreuze, ein Grenz-Zaun von Neonröhren – und dazwischen lauter Menschen, denen die Bigotterie aus allen Poren dampft. Aber es geht um das Protokoll eines ungeklärten Verbrechens am einsamen Bauernhof, wie es Andrea Maria Schenkel mit ihrem etwas anderen Krimi „Tannöd“ nachgezeichnet und in der stolzen Auflage von inzwischen knapp 600000 Büchern verkauft hat. Regisseurin Maya Fanke hat den dialogarmen Bestseller, als er noch gar keiner war, fürs Innsbrucker Theater dramatisiert und nun im runderneuerten zweiten Versuch als Deutschland-Premiere am Fürther Theater inszeniert. Zwischen Doku-Drama und Volkstheater fand sie eine Nische, in der sich Mysterienspiel und Schulfunk hilfreich umklammern.
Die düstere Geschichte um den sechsfachen Mord am oberbayerischen Einöd-Hof, von der Autorin aus dem Original-Jahr 1922 ein paar Jahrzehnte näher an unsere Wahrnehmung herangerückt, wirkt inzwischen wie ein Widerhall aktuellster Nachrichten. Der tyrannische Vater, der unter den Augen der Familie die eigene Tochter mehrfach schwängerte und die Nachbarschaft, die nie etwas bemerkt haben will, ihre Vorurteile aber gerne nachreicht, kommen uns bekannt vor. Es ist eine Moritat, könnte auch aus der Tagesschau springen.
„Erbarme dich unser“ murmeln die Überlebenden gleich zu Beginn und setzen ihre Beschwörungs-Litanei immer wieder rituell zwischen die ernüchternden Fakten, die aus den Zeugen-Aussagen ein Manifest des Ungeheuerlichen machen. Die Flucht in die religiöse Autosuggestion, die in der nüchternen Poesie des Buches allenfalls eine Folgerung im Kopf des Lesers ist, gibt auf der Bühne den Rahmen, aus dem keiner ausbrechen kann. Selbst wenn Regisseurin die Figuren (acht konzentriert agierende Schauspieler in wechselnden Rollen) über ihre Hoffnungsformeln hinaustreibt und in die Marthalersche Jodel-Verzückung flüchten lässt, bleibt deren Existenz trostlos. Nur die keifende Pfarrersköchin hat ihr Seelenheil fest im Griff und kennt am Ende den Täter: „Der Deifel, der hat sie geholt, die ganze Sippschaft“.
Die Schwierigkeit bei der sichtlich um Werktreue bemühten Umsetzung vom Roman zum Theaterstück liegt darin, dass solch markante Ausbrüche in der Vorlage selten sind und die Schauspieler dauernd aus der Darstellung eines Charakters in die Erzählerpose zurückfallen. Maya Fanke formt diese Beschränkung durch eine annähernd choreographische Bewegungs-Regie, stilisiert die Dorfgemeinschaft zu Prototypen und entgeht so weitgehend dem Zweifel an der Wahrhaftigkeit im ausgestellten Realismus. Das Aufladen mit Emotion ist ein Kunstgriff, der allerdings nur halbwegs gelingt.
Vor dem Hintergrund einer Porträt-Gedenkwand, über der zu Beginn ein flimmernder Film den Waldweg in die Einsamkeit zeigt, hat Bühnenbildner Wolfgang Menardi die Szene weit ins Parkett verlängert. Er rückt dem Zuschauer auf die Pelle. Ein blitzsauberes Dirndl wirkt inmitten dieser schmutzigen Umwelt wie die Dienstkleidung einer Rezitations-Gesandten.
Die Aufführung gewinnt nach und nach an Profil und ist im Finale ( „Ich hab’ die Orientierung verloren“ statt „Herr, erbarme dich“) beim nötigen Grad der Verunsicherung angekommen. Nach dem Buch und vor dem Film ein Zwischenbescheid über den Stand der „Tannöd“-Dinge – und in der laufenden Saison folgen noch mehrere Inszenierungen an deutschen Bühnen. Ein Nerv ist getroffen. Bei der Premiere gab es dafür viel Beifall. Dieter Stoll
Weitere Aufführungen: am heutigen Samstag, 16. bis 19. und 21.10. Karten Tel. 9742400.
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