Der Boss, der kein Chef sein will

NÜRNBERG Das Leben als „Sechser” ist nicht einfach. Rackern und ackern genießt im defensiven Mittelfeld Priorität. Technische, von Fans bestaunte Kabinettstückchen sind eher rar – und eigene Torerfolge sogar noch seltener. So unscheinbar die Position oft wirkt, so entscheidend ist sie über Erfolg und Misserfolg. Und deshalb verwundert es nicht, wenn Club-Trainer Dieter Hecking bei einem Namen ins Schwärmen gerät: „Timmy Simons ist mein wichtigster Mann!”
"Brüllen und schreien bringt gar nichts"
Der 34-jährige Belgier ist der unumstrittene Denker und Lenker. „Es ist fantastisch, wie er die Mitspieler führt”, weiß Hecking. „Wie clever er in Zweikämpfe geht und für sich entscheidet, taktische Aufgaben erfüllt.” Ohne Wenn und Aber: Timmy ist der Boss.
„Nein, ich bin kein Chef”, versichert Simons. „Ich brauche diese Rolle nicht – und auch kein Amt. Ich bin mir aber der großen Verantwortung bewusst – gegenüber meinen Mitspielern, dem Verein und unseren Fans.” Dass die vor dem vorgezogenen Endspiel gegen Mainz am Sonntag mehr denn je von der Europa League träumen, ist für den zweifachen Vater (die Töchter Laura und Lien sind sieben und fünf Jahre alt) zusätzlicher Ansporn: „Ein Sieg wäre ein richtig großer Schritt. Und den werden wir auch machen.”
Dieses Selbstbewusstsein, die schier unerschöpflichen Erfahrungen schätzt Hecking an seinem „alten Mann”, der als einziger Cluberer in allen 29 Ligaspielen keine Sekunde außen vor war: „Unsere Jungen sollten sich Zeit nehmen, um möglichst viel über Fußball mit Timmy zu sprechen.”
Wobei Simons ein strenger, dabei unaufgeregter Lehrmeister ist. „Brüllen und schreien bringt gar nichts. Ich setze auf kurze, präzise Kommandos”, sagt er. Und: „Ich bin jederzeit für jeden da. Aber ich sage nicht täglich, wie sich jemand ernähren oder sein Privatleben gestalten soll für den größtmöglichen Erfolg. Das mache ich einmal – und dann muss es gut sein.”
"Seit ich hier bin, wird viel mehr getrunken"
Die Jungspunde haben verstanden. „Seit ich hier bin”, grinst Papa Simons, „wird viel mehr getrunken. Jeder hat mittlerweile seine Extraration Wasser dabei, was für die Regeneration sehr wichtig ist”, weiß Vollprofi Timmy. „Ich selbst trinke mindestens vier Liter am Tag.”
Scheinbar bringt ihn nichts aus der Ruhe, oder? „Na ja”, räuspert er sich kurz. „Anfangs konnte ich Laura, die in die erste Klasse geht, bei den Hausaufgaben noch helfen. Mittlerweile muss ich allerdings immer häufiger im Internet nach den Lösungen suchen.” Auf dem Platz hat er dagegen immer eine parat. „Es ist schon beeindruckend, wie schnell er den Gegner durchschaut, auf Systemumstellungen blitzschnell und richtig reagiert”, sagt Hecking.
Und das trotz Lampenfieber: „Ich bin noch immer vor jedem Spiel nervös”, gesteht Simons. „Das ist aber auch gut, hält die Konzentration hoch.” Schließlich ist das Leben als „Sechser” nicht ganz so einfach.
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