Das Wohlgefühl hat sich aus dem Staub gemacht

Hülle und Höhle: Sehenswertes von Britta Lumer und Wolfgang Karl May im Zumikon
von  Abendzeitung
Sinnbild der Geborgenheit: Wolfgang Karl May platziert im Zumikon ein mobiles Baumhaus als Fluchtpunkt.
Sinnbild der Geborgenheit: Wolfgang Karl May platziert im Zumikon ein mobiles Baumhaus als Fluchtpunkt. © Bayernpress

NÜRNBERG - Hülle und Höhle: Sehenswertes von Britta Lumer und Wolfgang Karl May im Zumikon

Wenn Wolfgang Petry das gewusst hätte. Seine legendäre Liedkunst müsste ab sofort lauten: So ein Wahnsinn! Schickt er uns in die Höhle! Höhle! Höhle! Wolfgang Karl May, der mit dem Winnetou-Erfinder und Fantasy-Fabulierer nicht nur Bamberg als gemeinsamen Bezugspunkt hat, hat die Lounge im Nürnberger Zumikon komplett zu einer fabelhaften Bilder-Reise durch die abgrunddunklen Eingeweide des Künstler-Ichs umgestaltet – mit hölzerner Höhle am Anfang, Videoclip-gestyltem Zuhälter-Protz im New Yorker Kunstmarktgewürge am Ende und einem schrill-pinken Geburtskanal aus Zottel-Kunstfell dazwischen.

Eine Piano umperlte Bühne der Selbstfindung zwischen Schutzsuche und absturzgefährdeter Zivilsations-Romantik. Höhlen, Behausungen und Bäume (das mobile Baumhaus im Garten ist aufgerichteter Riesen-Beweis) sind die Themen des Nürnberger Künstlers May. Und die finden sich auch gegenüber in der Ausstellung des Instituts für moderne Kunst bei der Berliner Geborgenheitssucherin Britta Lumer. Zufall ist doch der beste Planer.

Für die eine ist Amerika „die große weite Welt, wo der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind“, für den anderen ist es das „gelobte Land“. New York als Hintergrundfolie und gemeinsame Absprungbasis kann man sich in beiden Ausstellungen mitdenken. 2002 waren beide dort Stipendiaten. Wolfgang Karl May begleitet seitdem die fixe Idee, die entwurzelten New Yorker mit einem mobilen, auf einer Wohnwagen-Chassis montierten Baumhaus neu zu verankern, Britta Lumer hat ihre trügerischen Modelle des Schutzbedürfnissses re-importiert, die neuerdings wie Gotham City im nächtlich vorbeizischenden Schleier daherkommen. Die Wohligkeit hat sich aus dem Staub gemacht, aus dem Kohlenstaub genauer gesagt. Denn mit ihm, mit Staubsauger, Blasebalg und Pressluft formt sie ihre großformatigen Schwarzweiß-Zeichnungen, die ihren formalen Reiz aus dem momentan Kontrollverlust ziehen. Lauter Utopien, durch die das poltergeisterhafte Unbehagen rieselt.

Wolfgang Karl May, der zuletzt in der Atelier-Galerie Prominententische zu Wandobjekten machte, verblüfft mit seiner geradezu manisch-euphorischen Theaterinszenierung eines Läuterungsprozesses: von der Goldkettchen-Halbwelt zum Höhlengleichnis. Inspirationsort archaischer Reflexmalerei. Bei der Eröffnung fackelt er das brennbare Ergebnis ab. Wahnsinn, die Höhle! Andreas Radlmaier

Zumikon (Großweidenmühlstr 21): bis 29. November, Di-Sa 17-20 Uhr. Katalog von Britta Lumer im Verlag für moderne Kunst (24 Euro)

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