Das tingelnde Terror-Mannequin

Nürnberg - Viel Gedankenschwere – und dann war’s doch nur Kopfkino: Buh-Rufe für David Mouchtar- Samorais ürnberger Inszenierung von Camille Saint-Saëns’ Oper „Samson und Dalila“
Wenn der geblendete, geschorene und somit um alle magische Schlagfertigkeit gebrachte Held nochmal seines Gottes Hilfe für einen letzten Kraftakt beschwören kann, lässt er die Welt über Gut und Böse einstürzen. Eigentlich wäre an dieser Stelle, wo zum Finale des Dramas unter den Trümmern des Tempels kein Leben bleibt, in David Mouchtar-Samorais Nürnberger Inszenierung der Oper „Samson und Dalila“ das Selbstmord-Attentat als Spiegelung fällig. Denn der Regisseur, der im Vorjahr mit Rossinis „Moses und Pharao“ ein mehrteiliges Bibelspiel-Projekt unter allgemeinem Beifall begann, hat das Werk des Franzosen Camille Saint-Saëns aus einem parfümierten Alten Testament ins neue Israel von Tel Aviv 2000 versetzt. Doch wenn die Palästinenser mit dem Hebräer-Heros gefallen sind, gibt es ein Augenzwinkern, und auf der Leinwand erscheint das Wort „FIN“. Viel Gedanken-Schwere, und dann war's nur Katastrophen-Kino.
Es kann kein Zufall sein, dass die biblische Episode von der überirdischen Kraft der langen Haare weder bei den Beatles noch in der Shampoo-Werbung gelandet ist, sondern der Vernichter Samson bis heute als Synonym für Israels letzten Ausweg mit der Atombombe gilt, die doch angeblich nirgends existiert. Von daher hat die historische Nähe entlang der Konflikt-Geschichte des jüdischen Staats einiges für sich, wird man doch beim Handlungsort Gaza eher an die Tagesschau als an die Heilige Schrift denken. Man müsste sich halt seine eigene Logik erkämpfen.
Die Inszenierung in einer vieldeutigen Welt aus dekorativen und beängstigenden Gittern (Bühne: Heinz Hauser) zeigt – indem sie die Reste der Wahrscheinlichkeit von der Bühne fegt – bei alterslosem Personal im Vorspiel das Palästina von 1947, im Hauptteil den modernen Staat von 2000 und im Anhang die undeutliche Utopie einer ironisch gebrochenen Apokalypse. Der liebestolle Volksheld, vom Philister-Girlie verführt und verraten, hat den eigenen Untergang in der Nachtclub-Szene von Tel Aviv eingeleitet. Dort, wo eine dekadente Schickeria die Tradition der Muslime verspottet (später amüsieren sich im Gegenzug PLO-Kämpfer über eine Travestie mit Juden in Schweine-Maske), ist Dalila die tingelnde Mata Hari vom Dienst. Hass ist ihr Motiv, ihr Ruf nach Rache hallt durch eine Endlosschleife, in der jeder seinen „Gott des Kampfes“ in Stellung bringt.
David Mouchtar-Samorai hat kühn Geister gerufen und sie erschrocken gleich wieder eingeschläfert. Gab es vor 35 Jahren eine Nürnberger Produktion des späteren Musical-Regisseurs Helmut Baumann im Hollywood-Stil und zettelte vor zwei Jahren Tilman Knabe in Köln mit seiner Gewalt-Orgie im Zusammenprall der „Gläubigen“ einen belebenden Skandal an, deutet diese Interpretation nun zwar auf Nahost-Gegenwart, meint aber nur die Folie von immerwährender Aktualität. Das ist ein bisschen wenig. Gast-Tenor Andrea Caré hat auf gesunder Verdi-Basis den metallischen Klang für Samsons dramatische Ausbrüche, Jordanka Milkova singt als Dalila eher monochrom, bis beide Stimmen im großen Verführungs-Duett zueinander finden. Viel mehr passiert nicht: Er gibt breitbeinig den Stenz, sie huscht wie ein Mannequin für Attentats-Design über den Terror-Laufsteg. Wo der Komponist große Gesten setzt, versucht der Regisseur das kleine Kammerspiel, in dem sich die Partner aus kurzer Distanz anbrüllen. Melih Tepretmez, statt Oberpriester hier Arafat-Veteran, kann da nicht ganz mithalten. Das Rest-Ensemble singt in einer anderen Liga.
Dass sich bei Saint-Saëns’ Musik die Stimmen mühelos gegen das Orchester durchsetzen, ist eine Theorie, die Dirigent Guido Johannes Rumstadt nicht bestätigen mag. Er steigt turbulent ein, treibt den Chor an seine Grenzen und fordert den Solisten ständig Präsenz aus voller Kehle ab. Die Lyrik trifft auf betäubte Ohren. Instrumentale Finessen der Komposition, in der es metaphysische Verbindungen von Richard Wagner und Philipp Glass zu geben scheint, schöpft Rumstadt aber voll aus. Er und die beiden Titelhelden bekamen den meisten Applaus. Sollten die Buh-Rufe fürs Regie-Team nicht den Denkansatz, sondern die Inkonsequenz der Durchführung gemeint haben, kann man ihnen nicht widersprechen. Dieter Stoll
Nächste Aufführungen: 18., 23., 27. und 30. Januar.