Das Lieben der Anderen

Wie der künftige Nürnberger Intendant Peter Theiler in Gelsenkirchen die Grand Opera in den Sand setzen lässt – und fürs Staatstheater plant
von  Abendzeitung
Exotik auf der Drehbühne: Vasco da Gama (Christopher Lincoln) wird von Spießen der Eingeborenen bedroht – im Hintergrund die Paradies-Tapete.
Exotik auf der Drehbühne: Vasco da Gama (Christopher Lincoln) wird von Spießen der Eingeborenen bedroht – im Hintergrund die Paradies-Tapete. © az

Wie der künftige Nürnberger Intendant Peter Theiler in Gelsenkirchen die Grand Opera in den Sand setzen lässt – und fürs Staatstheater plant

War das in Gelsenkirchen nur eine Skizze der Inspiration von Peter Theiler, oder gibt es für Nürnberg bloß die goldgerahmte Blaupause? Der künftige Staatstheater-Intendant, der nächste Woche seinen ersten Spielplan als Konold-Nachfolger vorstellt, kam im Musiktheater im Revier jetzt beim Schluss- und Höhepunkt an. Zumindest hatte er sich die Premiere von Giacomo Meyerbeers großer, selten gespielter Oper „Die Afrikanerin“ so vorgestellt. Inszeniert vom Hausregisseur Andreas Baesler, der auch in Nürnberg arbeiten wird, und besetzt mit einem vielsprachig französisch singenden Ensemble, das sein sorgsam gepflegtes Image als Stimmen-Entdecker untermauern sollte. Es hat nicht funktioniert!

Das kolossale Werk, das zur Rehabilitierung deutlich mehr braucht als gute Absichten und braves Handwerk, geriet beim steifbeinigen Marsch von der deutschen Provinz-Rampe in die nächst erreichbare Bollywood-Filiale an den Rand eines Desasters. Und nahezu jeder der Nürnberger Sänger, die der Intendant aus dem Ensemble drängt, hätte zur Verbesserung der Qualität beitragen können.

Über dem Gelsenkirchener Glaspalast, wo man sich gerne nach Zitat eines übermütigen Kritikers „Broadway im Revier“ nennen lässt, weht auch zum Meyerbeer-Kraftakt am Dach die Werbe-Fahne für „Strike Up the Band“. Matthias Davids, der in Nürnberg mit dem mausgrauen „Mann von La Mancha“ enttäuschte, hat den New Yorker Nachlass zur Freude auch des „Mamma mia“-Publikums als knallbunte Show arrangiert - und wird mit Theiler nach Franken zurückkehren. Denn der Broadway von gestern, der im heutigen Gelsenkirchen Kasse macht, soll morgen Nürnbergs Zukunft garantieren. Er gehört hier wie dort zum dreibeinigen Spielplan-Konzept, in dem auch vergessene Italiener und vernachlässigte Franzosen ihre Standort-Garantie haben.

Der lange Marsch übers Provinztheater nach Bollywood

Wer sich in Gelsenkirchen mit Stammgästen über den scheidenden Intendanten unterhält (es muss ja nicht grade der Ex-Nürnberger Kollege Wolfgang Quetes sein, der von Münster kommend Regisseur Baesler umwirbt), stößt auf eine Mixtur aus Anerkennung und „Nun reicht’s aber auch“. Eindeutiges Lob, weil Theiler das einst so stabile und dann ein Jahrzehnt schlingernde Haus neu positionierte. Hier hatte es lange vorher – jaja, ich habe es staunend gesehen – aus Operetten-Humus sprießenden Musical-Ehrgeiz gegeben, als vor 30 Jahren Paulchen Kuhn sein singendes Freudenmädchen „Fanny Hill" ganz und gar jugendfrei auf die Bühne schickte. Ohne Langzeitwirkung. Viel später war ein Ableger der Frankfurter Gielen/Zehelein-Avantgarde über verwunderte Abonnenten hergefallen. Mathias Weigmann, danach scheiternder Intendant der Bamberger Symphoniker, holte flotte Wilde der Regie, als sie noch keine staatsoperntauglichen Reform-Klassiker waren. Herbert Wernicke verzauberte Monteverdis „Krönung der Poppea“ zur Luxus-Comedy, Christof Nel holte die „Meistersinger“ lange vor Konwitschny und Katharina aus der nationalen Muffel-Ecke. Die Zahl der Anreisenden stieg bei diesem Programm, aber nicht so schnell wie die der einheimischen Aussteiger. Dann kam – o kleine Theaterwelt – der Nürnberger Opern-Dramaturg Ludwig Baum als Theiler-Vorgänger, betrieb in höchster Finanz-Verzweiflung die Fusionierung mit Wuppertal und ging im Zorn der Lokalpatrioten unter.

In solcher Situation, so sieht es die Kritik vor Ort und so bestätigt es der Platzmieter in der Reihe vor mir, war Theiler mit seinem Spezialitäten-Bauchladen der richtige Mann. Nicht singend, nicht inszenierend – aber ein Sanierungs-Künstler. Wo man für Wagner nur in die Straßenbahn nach Essen steigen muss, sind Donizetti, Gershwin und Meyerbeer als Duftmarken willkommen.

Ob das für Nürnberg passt, ist eine andere Frage. Gehen die Meinungen darüber auseinander, inwieweit das Opernhaus nach zwölf Konold-Jahren ein Sanierungs-Fall ist, dürfte doch Einigkeit darüber herrschen, dass es regional – da hilft keine ICE-Schnellstrecke – selber das Sparten-Zentrum sein muss. Philharmoniker-Chef Christof Prick, den Theiler unbedingt halten wollte, hat dessen voreilig verkündete Wagner-Phobie wohl zwangsgeheilt. Es wird weiter regelmäßig Wagner gespielt in Nürnberg – auch nach „Lohengrin“.

Das großformatige Raritäten-Experiment soll dazukommen. Hoffentlich mit anderen Ergebnissen als bei der Premiere von „L`Africaine“. Sie war der Fehleinschätzung der Solisten folgend (einzig Sopranistin Leah Gordon klingt makellos) auch als wuselnd illustrative Regie-Arbeit weit weg von jener magischen Suggestivkraft, die zwischen rauschenden Klängen und berauschenden Bildern vermitteln müsste. Aus dem Orchestergraben ist von Dirigent Samuel Bächli einiges davon zu vernehmen, obwohl der im Aufblühen immer wieder ernüchternd eckige Sound keinen Drogenbeauftragten beunruhigen muss. Nürnbergs Philharmoniker klingen weitaus eleganter.

Zu sehen ist ein wandelbarer Schiffs-Innenraum mit bulläugigen Wänden, die den erotisch liberalen Weltenbummler Vasco da Gama beim Frauen-Sortieren umschließen. Sind sie nach der Seeschlacht zerborsten, taucht eine Dschungel-Tapete auf und fortan wird gern vom „Paradies" gesungen. Hier in Shivas Gemeinde sind die Kostüme bunt, passend zum schmachtfetzigen, aufklärerisch trumpfenden Kitsch-Finale. Die Exoten-Königin stirbt im Verzicht, der Eroberer nimmt das Lieben der Anderen und lässt die Natur knatternd mit eigenem Patriotismus beflaggen. Wie schön, dass der durch dreieinhalb Stunden getragene Schoßhund-Pinscher, der mangels passender Ohr-Stöpsel bei jeder Arie an die Statisterie weitergereicht wird, bereits in der Kantine sitzt.

In Gelsenkirchen tritt nach Jahrzehnten nun erstmals ein inszenierender Intendant (Michael Schulz aus Weimar) an, in Nürnberg holt Theiler nach Burkhard Mauer, Lew Bogdan und Gelegenheits-Regisseur Konold die Kunst-Leitung wieder ganz zurück ins Management. Eine Fehlkalkulation des Meyerbeer-Ausmaßes darf ihm da nicht passieren. Doch die modifizierte Neuauflage seines Gelsenkirchener Glaubensbekenntnisses könnte ihm helfen. Dort brach er die Herzen der stolzesten Fans mit dem Auftragswerk „nullvier – Keiner kommt an Gott vorbei“, was als „Schalke-Musical“ Lokalgeschichte machte. „Eff-Zeh-Enn – Köpf, Bub!“ wäre ein schönes Max-Morlock-Musical...

Dieter Stoll

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