Das Lächeln der Wissenden
NÜRNBERG - Gegensätze, die sich nur manchmal anziehen: Frank Behnke inszenierte G.E. Lessings Komödie „Die Juden“ und George Taboris Groteske „Jubiläum“ in der Nürnberger Kongresshalle.
Die ganze Spannkraft dieses gewiss ungewöhnlichen Theaterabends liegt in seiner Behauptung, den gemeinsamen Nenner für zwei weit auseinander liegende Stücke aus der B-Kategorie ihrer namhaften Autoren gefunden zu haben. In der „Schuld“-Falle, die Regisseur Frank Behnke als sinnstiftender Dramaturg und Motto-Schmied des Nürnberger Schauspiels im Kongresshallen-Quartier selber mit konstruiert hat, rückt er Lessings frühes Stück „Die Juden“ und George Taboris Einstieg ins Alterswerk mit dem Titel „Jubiläum“ zu einer Toleranz-Attacke zusammen. Aber gemeinsam geht’s in diesem Fall nicht unbedingt besser, denn die Annäherung der ein Viertel-Jahrtausend Distanz repräsentierenden, enorm gegensätzlichen Theater-Stile hat zur Folge, dass die Kanten der Extreme abgeschliffen wirken. Lessing ist schriller, Tabori sanfter als im Original. Die Aufführung hat es sich auf einer Kompromisslinie eingerichtet und reckt sich dort.
„Wir sind halt komische Leut“, lautet der finale Merksatz, den auch Woody Allen gepflanzt haben könnte. Hier lässt ihn der lebenslang um Humor im Entsetzen ringende George Tabori („Die Kannibalen“, „Mein Kampf“) wie ein weltumspannendes Achselzucken von einem der Opfer sprechen, die in seiner Friedhofs-Groteske „Jubiläum“ zur gemütlichen Selbstbetrachtung bei Anekdoten-Häppchen auferstehen. Zuvor haben Juden und Spastikerin und Schwuler – so lapidar wie möglich aber dabei doch mächtig symbolisch brüderlich – mit dem ewigen Neonazi, dem Grabschänder mit den Springerstiefeln, Brot gebrochen. Frank Damerius als Geist im vorherigen Lessing-Design war auch gekommen.
Für das dramatisch eher schlichte, im Dialog kunstfertig formulierte Miniatur-Mahnmal des späteren „Nathan“-Autors haben Regisseur Frank Behnke und sein Ausstatter Günter Hellweg mehrere Fluchtwege aus drohender Harmlosigkeit geöffnet. Über Kostümschnörkel und Perückenlöckchen bahnt sich die Aufführung den Befreiungsschlag in der Stimmungslage „überkandidelt“ hin zur Commedia-Juxerei (Hartmut Neuber spielt den Diener aller Herren mit Diskofieberschüben), was sie auch dringend braucht. Denn die „Spitzbuben“-Geschichte, in der die Dummheit selber für die Niederlage der Vorurteile sorgt, ist denn doch zu durchsichtig. Behnke und die Schauspieler versuchen redlich, die nach Höherem strebenden Gedanken zum bodenständigen Tänzeln zu bringen. Die Einspielung von Veit Harlans Nazi-Hetzfilm „Jud Süß“ zerrt gleichzeitig in die andere, die schicksalsträchtige Richtung, was aber nur versteht, wer es ohnehin weiß. Der umschwärmte und seiner silbernen Tabaksdose beraubte Reisende (Heimo Essl) ist eh nicht betroffen, sein Ruf bleibt selbst beim Outing als Jude blütenweiß wie sein Gewand.
Das kurze Einbrechen von Taboris Tabubruch-Ästhetik in Lessings kunstvolles Wohlwollen gibt den Ton für die ganze Aufführung im zweiten Teil an. Nicht die ungeheure, weil ungeheuerlich lakonische Provokations-Lust des Autors herrscht vor, sondern beklemmende Ruhe im Sturm grotesker Überspitzungen. Die Schauspieler (Essl und Preissler, eben noch wie im Puderstaub tändelnd, treffen nun als absurd liebeslauschiges Todes-Paar zusammen) klettern über Grabhügel, Erinnerungen und Kalauer, die ihnen Tabori in den Weg stellt. Jutta Richter-Haaser hat ein eindrucksvolles Solo, Michael Nowack genügt das vielsagende Lächeln des Wissenden. Der lange Beifall bestätigte alle guten Absichten. Dieter Stoll
Termine: 4./5.3., 20./21.3., 24. und 28.3. – Tel. 0180-5-231600.
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