Das Gewaltproblem im bayerischen Fußball
Funktionäre werden bespuckt, am Boden liegende Gegner getreten, Schiedsrichter attackiert – und es wird immer schlimmer, urteilen Experten. Die AZ zeigt auf, was sonst kaum jemand erfährt.
München – Die Saison 2012/2013 ist vorbei. Gott sei Dank, werden viele sagen. Sie war blutig. Blut floss in der Partie SVDJK Taufkirchen und der SpVgg Höhenkirchen Ende April: Da trat ein 39-Jähriger seinem Gegenspieler (20) ins Gesicht und brach ihm dabei die Augenhöhle.
Blut floss auch zwei Wochen später, am 9. Mai: Da beendeten Spieler von Grün-Weiß Ingolstadt und dem SV Buxheim die Partie mit einer Massenschlägerei. Vier Spieler kamen ins Krankenhaus. Einen Tag später rammte ein Spieler des TV Tegernsee dem Schiedsrichter Henrik Kellinghaus den Ellenbogen in die Brust. Der bricht das Spiel ab.
Genau deshalb hat Andreas Hitzlsperger aufgehört. Der Bruder des Ex-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger trat vergangenen November aus Protest gegen die zunehmende Gewalt mit zwei Dachauer Kollegen als Schiedsrichter zurück – nach 20 Jahren. Sein Kollege Daniel Maurer war selbst von einem Zuschauer attackiert worden. Damit wollten die drei Schiedsrichter ein Zeichen setzen.
Hat’s was gebracht? Nein, sagt Hitzlsperger. Im Gegenteil: „In diesem Jahr ist alles noch schlimmer geworden“, sagt er: Schlägereien, Spuck-Attacken und Schimpfwörter nähmen zu. „Die Gefahr ist in Bayern allgegenwärtig“ – die Krisenherde lägen „vor allem in Oberbayern“. Und der BFV tue nichts, sagt Hitzlsperger: „Präsident Rainer Koch hat alles schleifen lassen.“
Die drei eben genannten Schlägereien gehören zu den wenigen, die publik werden. Wenn Spieler, Zuschauer oder Trainer gewalttätig werden, bekommen das meist nur ein paar Zuschauer mit – und später die Sportrichter des Bayerischen Fußballverbands (BFV). Der AZ liegen exklusiv geheime Sportgerichtsurteile dieser Saison vor. Sie beschäftigen sich mit Vorfällen in München, die sonst nie an die Öffentlichkeit gelangen (siehe Bilderstrecke oben).
Solche Ausraster beschäftigten vor Pfingsten auch den Münchner Kreisjugendleiter Florian Weißmann. In einer Mail an die Vereine, die der AZ vorliegt, klagt er über einen Spielabbruch wegen vermeintlich schlechter Schiri-Leistung, Steinewerfen auf Spieler und die „üblichen“ Beleidigungen. „Über diese Entwicklung bin ich mehr als nur schockiert“, schreibt Weißmann – und fordert Vereine und Zuschauer auf, „zu den sportlichen Wurzeln des Fußballs“ zurückzukehren.
Der Bayerische Fußballverband hat das Problem erkannt – und rührt sich jetzt: In einem aktuellen Rundbrief an die Vereine spricht man von einer „Gewaltproblematik“. Der Münchner Vize-Kreisvorsitzende Bernhard Slawinski, zuständig für Gewalt-Prävention, gibt zu: „Es sind Dinge passiert in den letzten Wochen, die unschön sind.“
Vor allem in München passiere am meisten: „Dieser Kreis ist der absolute Schwerpunkt.“ Slawinski hat die Zahl der Spielbeobachter aufgestockt. Sie sollen brisante Partien beobachten – zum Teil verdeckt. 2012 gab es acht Beobachter in München, heute sind es 20. „Nach dem ersten Spieltag habe ich schon gesehen, dass es mehr zu tun gibt – und habe schnell Mittel zur Verfügung bekommen“, sagt Slawinski.
Die Aufstockung hat sich gelohnt: „Durch sie entdecken wir viel mehr, was früher unter dem Tisch gefallen ist“, sagt Slawinski: Schiedsrichter hätten jahrelang „viele Vorfälle gar nicht gemeldet“, und Vereine hätten bei Problemen mit Spielern „nicht um Hilfe gebeten“. Das soll nun besser werden: Der BFV will Konfliktmanager zu Problem-Vereinen schicken und eine Arbeitsgruppe einrichten. Ob es was bringt, wird die nächste Saison zeigen.
Eine Umfrage des BFV vom März zeigt, dass die Unruhe auf den Plätzen wächst: 57 Prozent der Schiedsrichter fühlen sich zwar noch sicher. Der Rest aber sorgt sich um Gewalt und Beschimpfungen oder hat schon „Ausschreitungen“ miterlebt. Neun Prozent sagen offen, dass sie Angst haben. Andreas Hitzlsperger ist alarmiert: „Ich finde diese Zahl erschreckend.“