Das Drehkreuz in der Provinz

Der Memminger Flughafen lockt immer mehr Urlaubs-Schnäppchenjäger ins Allgäu – weil der Betrieb boomt, muss das recht beschauliche Gebäude bereits umgebaut werden.
von  Abendzeitung

MEMMINGEN - Der Memminger Flughafen lockt immer mehr Urlaubs-Schnäppchenjäger ins Allgäu – weil der Betrieb boomt, muss das recht beschauliche Gebäude bereits umgebaut werden.

Memmingen ist der Mittelpunkt Europas. Und auf jeden Fall ist es das Zentrum Süddeutschlands, neben dem die Metropolen München oder Stuttgart ganz klein aussehen. Das gilt zumindest dann, wenn Europa aus der Sicht des Allgäu Airports dargestellt ist – wie auf der aktuellen Flugstrecken-Übersicht des ambitionierten Flughafens.

Kein Wunder, dass das Drehkreuz in der Provinz vor Selbstbewusstsein strotzt: Während andere Flughäfen über sinkende Passagier-Zahlen klagen, boomt der Allgäu Airport. Allein im ersten Halbjahr 2009 stieg die Zahl um 26 Prozent. Heuer werden etwa 700000 Passagiere erwartet, und nächstes Jahr will Memmingen die Millionen-Grenze knacken – im dritten Betriebsjahr. Der kleine Airport ist längst zum Dorado für Schnäppchenjäger geworden. Ryanair und Tui Fly locken Kunden mit Billigflügen nach Bayerisch-Schwaben. Die Masche zieht.

Für einen Euro nach London

Michael Eckert (23) hat gerade seine Reisetasche aufgegeben. Der Student aus Nürnberg jettet mal eben nach London, um dort für fünf Tage seine Freundin zu besuchen. Dafür braucht er weder reiche Eltern noch einen gut bezahlten Nebenjob – gerade mal ein Euro hat das einfache Ticket gekostet. Dazu kommen noch 20 Euro für die Gepäckabfertigung. Das war’s. „Schwein gehabt!“, findet Michael Eckert, der bei so einem Schnäppchen auch die Anreise nach Memmingen nicht scheute – vier Stunden mit dem Regionalzug. Dank eines geteilten Bayern-Tickets kostete die Bahnfahrt zehn Euro. „Wenn ich Zeit und Muse habe, würde ich es immer wieder so machen“, erklärt der Student. Er ist sicher: „Wenn die Preise so niedrig bleiben, ist das bestimmt eine Konkurrenz für München.“

Nicht nur für München. Klaus Sistermanns kam sogar aus der Nähe von Aachen angereist, um von Memmingen aus in den Thessaloniki-Urlaub zu starten. 410 Euro für vier Leute, hin und zurück. Das war ein Argument. „Wir fliegen sonst von Düsseldorf oder Köln – aber Freunde haben uns das hier empfohlen“, erklärt er, während er braun gebrannt am Gepäckband wartet. Für die Zugfahrt nach Memmingen kamen noch mal 150 Euro für zwei Erwachsene und zwei Buben oben drauf. „Aber das ist immer noch billiger, als wenn wir von Köln aus geflogen wären.“ Der Koffer kommt, Sistermanns hievt ihn vom Band. Zwei Wochen Ferien sind schnell vorüber.

Das Flughafengebäude ist sehr beschaulich

Nur ein paar Schritte und die Ankommenden haben den beschaulichen Flughafen verlassen. Gerade 50 mal 60 Meter misst der frühere Hangar. Ein Duty Free-Shop, ein Café und neuerdings vier Gates, nachdem kürzlich eines dazu kam. Das war's. Zum Vergleich: Das ganze Terminal ist so groß wie drei Gates am Münchner Airport.

Damit ist dem Wachstum des Allgäu Airports in seiner jetzigen Form eine Grenze gesetzt. „Wir haben an manchen Tagen schon Engpässe im Terminal“, räumt Geschäftsführer Ralf Schmid ein. Darauf sei aber reagiert worden – mit mehr Check-in-Personal. Eine zweite Ebene wird ausgebaut, sodass es sechs Gates gibt. „Damit packen wir 1,5 Millionen Passagiere – aber dann ist alles an Optimierungsmöglichkeiten ausgereizt.“ Allerdings müsste wohl auch das nicht das Ende der Fahnenstange sein – wenn das Wachstum anhält. Der frühere Militärflugplatz bietet genug Infrastruktur für Erweiterungen. Wer zum Flughafen fährt, kommt an leeren Kasernen und Bunkern vorbei. Viel Platz für neue Funktionen.

München-West? "Ein Schmarrn!"

„Unsere Zielmarke ist, dass wir Geld verdienen“, sagt Geschäftsführer Schmid. „Ob mit 700000 oder mit drei Millionen Passagieren.“ Der Flughafen sei kurz davor, sich selbst zu tragen. Doch so ganz kauft man dem 42-Jährigen diese Selbstgenügsamkeit nicht ab. Vor allem wenn er gegen den Münchner Flughafen stichelt, ist klar: Er will noch hoch hinaus.

Gleich als er den Raum betritt, fällt der Begriff „München-West“ für den Allgäu Airport – wenn auch mit einem Augenzwinkern. Schmid versichert: „Wir streben absolut keine Umbenennung an.“ Der Flughafen München habe schon seine Berechtigung als Hauptflughafen, erklärt er. Ein süßes Zugeständnis, wenn man bedenkt, dass im Erdinger Moos 2008 rund 34,5 Millionen Fluggäste gezählt wurden. David gegen Goliath. „Wir sind der kleine dynamische Wettbewerber. Wir wollen auch ein Stück vom Kuchen.“

In der Landeshauptstadt hält man vom Ausdruck „München-West“ wenig. „Ein Schmarrn“, so Airport-Chef Michael Kerkloh im AZ-Interview. „Am Ende ist das auch eine mutwillige Verdummung des Publikums.“

Alle sind per Du

Neben dem Allgäu Airport steht eine Alm. Davor flattert eine „Erdinger Urweisse“-Fahne. Doch davon abgesehen muss man Parallelen zwischen beiden Flughäfen schon suchen. Beispiel „Business Lounge“: Die wirkt im Allgäu wie ein Wohnzimmer in einer Möbel-Ausstellung. Zwei bordeaux-rote Ledersofas und ein Sessel stehen um einen Tisch herum. Alles wie neu. Außer individuell reisenden Geschäftsleuten und den Gesellschaftern des Flughafens verirrt sich kaum jemand hierher. Schnäppchenflieger-freie Zone.

Viele schätzen das. Sie mögen es, dass der Memminger Flughafen eben nicht die Münchner Dimensionen hat. „Die kurzen Wege sind praktisch“, sagt Ferdinand Küegg (63), während er seine Enkel auf dem Gepäckwagen durchs Terminal manövriert. Er wohnt am Bodensee. Besonders Schweizer und Österreicher haben Memmingen für sich entdeckt. Das zeigt ein Blick auf die Kennzeichen der Autos auf dem Parkplatz.

Auch das Flughafen-Team selbst freut sich über die familiäre Atmosphäre auf dem beschaulichen Airport. Jan Mebus arbeitet seit drei Monaten als Flugzeugabfertiger, davor war er Bäcker. „Jeder kennt jeden und man ist eigentlich mit allen per Du.“

Die Anwohner sind froh, dass die Tornados weg sind

Selbst im gut vier Kilometer entfernten Memmingen beurteilt man den Airport eher positiv – obwohl die Flugzeuge dort zu hören sind. „Die Tornados waren früher viel lauter“, erklärt ein Rentner, während er sich in einer Bäckerei einen Kaffee gönnt. „Der Flughafen hat Vorteile, jetzt kommen mehr Touristen in die Stadt.“

Doch ein Rest Skepsis bleibt. „Wenn Ryanair für einen Euro fliegt, ist das nicht mehr normal“, findet der 68-Jährige. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das rechnet. Wenn die Kerosinsteuer käme, könnten die zusammenpacken.“

Julia Lenders

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