Das bayerische Wacken: Invasion der Idylle

In Rieden ist nicht viel los. Doch an diesem Wochenende steigt das Metal-Festival „Wacken Rocks South“. Ganz geheuer sind die schwarz- gekleideten Fans den Bewohnern anfangs nicht
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In Rieden ist nicht viel los. Doch an diesem Wochenende steigt das Metal-Festival „Wacken Rocks South“. Ganz geheuer sind die schwarz- gekleideten Fans den Bewohnern anfangs nicht

Einen Fischereiverein gibt es in Rieden, dessen Schild sieht man gleich, wenn man von der Landstraße in Richtung Kirche abbiegt. Auch eine Freiwillige Feuerwehr. Und sogar ein Freibad haben sie in dem 3000-Einwohner-Ort.

Doch irgendetwas ist anders an diesem warmen Sommertag in der Oberpfalz. Beim Gockel-Pit verkaufen sie ein paar Hendl mehr als sonst, und im Supermarkt haben Angestellte die Dosen-Ravioli in pikanter Soße und das Bier prominent an den Mittelgängen platziert. Sonst versorgen sich am Vormittag vor allem die älteren Dorfbewohner mit Lebensmitteln. Heute sind es auffällig viele Langhaarige in klobigen Stiefeln und schwarzen T-Shirts. Auf der Rückseite prangen Schriftzüge, „Slayer“, „In Flames“ oder „Wacken“. Es ist der erste Tag des „Wacken Rocks South“ in Rieden-Kreuth.

Zum ersten Mal steigt am diesem Wochenende der Ableger des „Wacken Open Airs“ in Schleswig-Holstein, mit bis zu 100000 Metal-Fans das größte seiner Art überhaupt.

So weit ist man in Rieden noch nicht. Aber an die Rockfans haben sich die Einwohner in den letzten Jahren gewöhnt. Auf dem Gelände des Guts Matheshof ein paar hundert Meter den Hügel hinauf, wo normalerweise Reitveranstaltungen stattfinden, treffen sich seit ein paar Jahren die Fans harter Musik.

Ganz geheuer war das den Dorfbewohnern anfangs nicht. Horror-Geschichten machten die Runde. Auf dem Dorfplatz, im Schatten der Kirche, erzählte man sich von Satanisten, die den Friedhof plündern, haufenweise Drogen konsumieren und den Ort verwüsten. Doch dann kam alles ganz anders.

Der Wind trägt schallende Trommelwirbel, verzerrte Gitarren und dumpfes Gebrüll über den Dorfplatz. Dort sitzt eine Gruppe Mütter mit ihren Kindern auf Bänken am plätschernden Brunnen. Sie erzählen gern die Geschichte, wie bei einem der letzten Metal-Festivals eine Gruppe Langhaariger einer Frau die Tüten vor dem Supermarkt abnahm. Sie trugen ihr die Einkäufe bis vor die Haustür. Oder der Bauer, dessen mit Fässern beladener Anhänger umkippte beim Weg den Hügel hinauf Richtung Kreuth. Sofort stürzten ein paar Jugendliche herbei, sammelten die Fässer ein und wuchteten sie zurück auf den Wagen. „Wenigstens ist hier mal was los“, ruft eine ältere Dame herüber, als sie die Stufen zur Metzgerei hinaufsteigt. „Aber für die Musik bin ich zu alt.“

Plattgedrückte Bierdosen am Straßenrand weisen den Weg den Hügel hinauf Richtung Kreuth. Aus der Ferne sehen die schwarz gekleideten Metal-Fans aus wie Ameisen. Immer mehr bauen auf der großen Freifläche des Gutshofs ihre Zelte auf. Mit bis zu 10000 Besuchern hatten die Veranstalter gerechnet, bis jetzt dürften es vielleicht 4000 sein. Vor ihren Zelten bereiten sie sich auf den Abend vor, mit viel Bier, wie sich das gehört.

Mit Kugelschreiber hat sich Mona „Slayer“ auf den linken Unterarm gekritzelt. Sie nippt an ihrem Sangria im Tetra-Pak und kichert. Mona trägt fast kniehohe Springerstiefel, ein schwarzes Röckchen, die Haare schwarz gefärbt. Heute Abend freut sich sich vor allem auf „In Extremo“, und dann, am Freitagabend, klar, Slayer.

Ein paar Meter weiter sitzt Lemmy auf seinem Campingstuhl. Er kommt aus Schwandorf, das liegt ganz in der Nähe. Seinen Namen und den markanten Bart hat er sich von Lemmy Kilmister entliehen, dem Sänger der Hardrockband Motörhead. „Nur Metal“, sagt Lemmy und legt sich das nächste Fleisch auf den Grill. Noch ist es ruhig auf dem Campinggelände, fast beschaulich. Der beißende Geruch angebrannter Steaks weht über das Gelände, ein paar Generatoren knattern, es riecht nach ausgedörrtem Gras.

Auf dem Gutshof, der direkt über der Straße liegt, schaukeln zwei Kinder zu den Klängen von AM/FM, einer AC/DC-Coverband, die gerade die Beschallungsanlage testet. Unter den Sonnenschirmen auf der Terrasse trinken großflächig tätowierte Festivalbesucher ein Bier, oder trinken Milchkaffee und essen dazu selbst gemachten Apfelkuchen. Drinnen steht Schorschi und zapft seit Stunden ein Bier nach dem anderen. Um 22 Uhr hat der 48-Jährige endlich Feierabend.

Er mag diese amerikanischen Bands, vor allem Slayer. Privat hört er zwar lieber andere Musik, „aber wenn hier mal was ist, wenn mal Action ist, dann muss man das auch mitnehmen“, sagt Schorschi. Er ist auf dem Gutshof aufgewachsen. Außer den üblichen Reitveranstaltungen ist hier übers Jahr nicht viel los, erzählt er. Die Konzerte sind sein Highlight. Dann geht Schorschi zusammen mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Söhnen aufs Feld, stellt sich mitten in die Massen und lässt sich von der Musik tragen. Schon nächstes Wochenende kommen wieder die Pferde.

Christoph Landsgesell

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