„Darf ich jetzt lachen?“

Der Regisseur Kay Neumann über die Nürnberger Uraufführung von Franzobels „Große Kiste“ nach Christiane Kohls NS-Prozess-Buch „Das Zeugenhaus“.
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„Vor der Klamotte muss man sich bewahren“: Gastregisseur Kay  Neumann im AZ-Interview über die „Große Kiste“.
Berny Meyer „Vor der Klamotte muss man sich bewahren“: Gastregisseur Kay Neumann im AZ-Interview über die „Große Kiste“.

NÜRNBERG - Der Regisseur Kay Neumann über die Nürnberger Uraufführung von Franzobels „Große Kiste“ nach Christiane Kohls NS-Prozess-Buch „Das Zeugenhaus“.

Eineinhalb Jahre, nachdem mit dem Schauspiel-Umzug in die Kongresshalle das Spielzeit-Motto „Schuld“ ausgerufen wurde, findet es morgen (19.30 Uhr) mit der Uraufführung von „Große Kiste oder Das Spiel vom Zeugen“ seinen Abschluss. Christiane Kohls Doku-Buch „Das Zeugenhaus“ (siehe Kasten), wurde zur Vorlage für den österreichischen Dramatiker Franzobel: Hier treffen die Zeugen des NS-Prozesses aufeinander, Altnazis wie KZ-Opfer. Klar, dass es da knallt. Ursprünglich wollte Schauspielchef Klaus Kusenberg die Auftragsarbeit des Staatstheaters selbst inszenieren. Nun führt Kay Neumann („Elling", „Der Kick", „Ladies Night") Regie — auf einer Nierentischschräge mit der titelgebenden, sehr geheimnisvollen großen Kiste und drei Drehtüren, die Günter Hellweg auf die Bühne in der Kongresshalle setzte.

AZ: Herr Neumann, Drehtüren sind ein typisches Komödien-Setting. Warum gibt es davon in Ihrer Inszenierung gleich drei?

KAY NEUMANN: Weil wir der Flüchtigkeit dieses hotelartigen Aufenthalts ein Bild geben wollten.

Ist „Große Kiste“ denn eine Komödie?

Nein, eine Genremischung. Da wird ein ernstes Thema mit den Mitteln der Kolportage verhandelt, der Groteske, der Überzeichnung — Stilformen, die Franzobel auf geniale Weise miteinander vermengt. Hermann Glaser hat über das Buch von Christiane Kohl geschrieben, dass sich da ein Pandämonium von Nachkriegsmonstren versammelt. Franzobel nimmt das auf und überzeichnet es.

Wie macht man aus Franzobels oft holzschnittartigen Figuren Charaktere aus Fleisch und Blut?

Das ist in der Tat ein Problem. Wir erinnern die Schauspieler immer wieder daran, was die Kernthemen dieser Stücke sind, dass sich da die Nachkriegsordnung organisiert, dass das ein ernstes Thema ist. Vor der Klamotte muss man sich bewahren.

Es ist schon eine merkwürdige Mischung aus Bert Brecht und Mel Brooks „The Producers“ — mit Jelinek’schen Wortspielen.

Franzobel bedient sich einer Perspektive, die man erhalten würde, wenn man den Kopf nach oben hebt und die Stammtisch-Unterkante sieht. Er könnte es ja besser. Aber er erschafft über die Ebene des schlechten Wortwitzes und des Kalauers eine ungeheure Fremdheit, etwa wenn die Figuren meinen, sich auf englischsprachigem Boden sicher zu bewegen und bei „come“ den Kamm und das Frisieren zu assoziieren. So reden sie immer aneinander vorbei. Gerade wenn’s zu ernst wird, kommt wieder ein krachlederner Witz.

Der moralische Zeigefinger sollte unten bleiben und die Farce nicht zum reinen Gelächter mutieren. Haben Sie ein inszenatorisches Sicherheitsnetz gefunden?

Das werden wir am Freitag sehen. Man kann sich bei diesem Stück nie ganz sicher sein: Darf ich jetzt lachen? Gerade dann, wenn man zu wissen meint, wie’s geht, merkt man: Das ist ein Irrweg. Oft ist es auch wie in einer guten Komposition, dass die einzelnen Stimmen sich ausbalancieren.

Die Hausbesitzerin Elise Kralle spricht kein Fränkisch. Warum?

Das würde wie der Versuch wirken, das Stück in Richtung Volkstheater zu drücken, wo gleich die Klamotte durch die Ritzen guckt. Ihre Sprachmelodie lehnt sich eher an österreichische Vorbilder wie Horvath, Bernhard und Jelinek an. Außerdem bin ich Hamburger, da wäre es vermessen, einen fränkischen Dialekt auf die Bühne zu stellen.

Interview: Georg Kasch

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