Dachauer Todesschütze für immer weggesperrt

„Kaltblütig und heimtückisch“: Rudolf U. (55), der Staatsanwalt Tilman T. (†31) erschossen hat, wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wird das Gefängnis wohl nicht mehr lebend verlassen
MÜNCHEN Der Blick des Dachauer Todesschützen Rudolf U. (55) wandert an die Decke des Münchner Schwurgerichtssaals. Den Kopf hat er Richtung Zuschauer gedreht. Der Gesichtsausdruck des Angeklagten lässt vermuten, dass ihn die Urteilsverkündung gar nicht interessiert. Dabei ist sie folgenschwer für ihn.
„Rudolf U. ist schuldig des Mordes mit drei tateinheitlichen versuchten Morden“, sagt der Vorsitzende Richter Martin Rieder. „Der Angeklagte wird zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, und die Schuld wiegt besonders schwer.“
Das bedeutet: Rudolf U., der am 11. Januar den Staatsanwalt Tilman T. (†31) erschossen hat, wird das Gefängnis wohl nicht mehr lebend verlassen. Durch die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“ wird nicht automatisch nach 15 Jahren Haft der Rest der lebenslänglichen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Erst nach 25 Jahren könnte er einen Gnadenantrag stellen.
Der Angeklagte ist gesundheitlich bereits schwer angeschlagen. Ihm wurden beide Unterschenkel amputiert (AZ berichtete). Der Vorsitzende Richter begründet die besondere Härte: „Der Angeklagte hat Tilman T. kaltblütig ermordet.“ Er habe „heimtückisch“ und aus „niederen Beweggründen“ gehandelt. Der Richter weiter: „Tilman T. ist ein Zufallsopfer. Jeder aus der Staatsanwaltschaft München II hätte Opfer sein können.“
Tilman T., ein junger Top-Jurist, war am Tattag nur als Vertretung im Dachauer Gericht, als der Ex-Transportunternehmer Rudolf U. durchdrehte und nach einem Prozess wegen Sozialleistungsbetrugs eine Waffe zog und um sich schoss. Der Täter, sagt der Richter nun, habe „seine eigene Rechtswelt“ aufgebaut. „Er ist immer im Recht.“ U. hatte vor der Tat in mehr als 30 Prozessen 150000 Euro verloren. Zu Freunden sagte er mal: „Irgendwann gehe ich mit einer Kalaschnikow ins Gericht und ballere alle nieder.“
Für Rudolf U. sei die „Stunde der Rache“ im Dachauer Verfahren gekommen, befand das Gericht. Mit einer entsicherten Pistole ging er zur Verhandlung. Sechs Patronen befanden sich im Magazin. Eine Kugel steckte im Lauf. Elf weitere Patronen führte er in einem Samtsäcken mit. Als Richter Lukas N. (36) um kurz nach 16 Uhr gegen Rudolf U. eine Bewährungsstrafe verhängt sagt der Angeklagte: „Das war mir klar.“ Er griff mit der linken Hand – er war nach einem Schlaganfall rechtsseitig gelähmt – in die Jackentasche und ballert los.
„Aufgrund seines körperlichen Zustandes ist ihm klar, dass er schnell handeln muss“, so Rieder. Laut Urteil gab Rudolf U. insgesamt sechs Schüsse „in Tötungsabsicht auf den Staatsanwalt, den Richter, den Protokollführer und seine Verteidigerin ab“, um sich „aus reiner Uneinsichtigkeit und Rechthaberei wegen ihm angeblich zugefügter Ungerechtigkeiten zu rächen“.
Das Gericht folgte mit dem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der 55-Jährige habe die Tat zwar eingeräumt, allerdings ohne jede Reue, so Rieder. Wilfried Eysell, der Verteidiger von Rudolf U., kündigt nach dem Urteil an: „Mein Mandant will in Revision gehen.“ Vom Bett im Gerichtssaal wird Rudolf U. von zwei Sanitätern auf die Trage gehoben und durch den Zeugeneingang aus den Gerichtssaal geschoben. Er kommt nach Stadelheim – bis der BGH über die Revision entschieden hat
Chips, Schokolade und Wutausbrüche: Der Prozess gegen Rudolf U. war reich an Skurrilitäten
Am 7. November verliest Richter Martin Rieder die Anklageschrift. Außer Mord wird ihm noch Mordversuch in drei Fällen vorgeworfen. Doch Rudolf U. besteht darauf, er habe nur den Richter treffen wollen. Als Rudolf U. in München gefragt wird, ob mehrere Prozesse gegen ihn und Geldstrafen einen Mord rechtfertigen, brüllt er den Richter an: „So macht’s ihr weiter und weiter. Genau das ist euer Stil. So habe ich mir das vorgestellt.“
Erst pöbelt der Angeklagte, dann legt sich sein Anwalt mit dem Richter an. Maximilian Kaiser wird nicht vom Wahl- zum Pflichtverteidiger des Todesschützen ernannt. Aus Protest verlässt er am 7. November den Gerichtssaal. Rudolf U. nennt es eine Sauerei und droht: „Ich gehe heim!“
Richter Martin Rieder beschließt die zwangsweise Vorführung von Rudolf U. (55) beim Prozess. Im Krankenbett verfolgt er die Verhandlung. Sein Anblick ist gespenstisch: Unter einer blauen Decke liegt der beidseitig beinamputierte Rudolf U. Sein Gesicht ist fast weiß.
Der Wahlverteidiger von Rudolf U., Maximilian Kaiser, beantragt den Richter Martin Rieder wegen Befangenheit abzusetzen. Dieser Antrag wird abgelehnt. Die Anwälte von Tilmann T.s Familie kritisieren das Vorgehen des Wahlverteidigers Maximilian K. als Schmierentheater.
Wahlverteidiger Maximilian Kaiser hat eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingelegt. Sein Mandant sei nicht fair behandelt worden. In einer Patientenverfügung habe er betont, er wolle sterben, aber keinen Selbstmord begehen.
Trotz seiner schweren Erkrankung hat sich Rudolf U. nur von Chips, Schokolade und Milch ernährt. Die Tüte stand meistens neben seinem Bett.