Da sind auch faule Eier dabei

Wilhelm Busch, Mephisto, Manager-Schelte: Publizist Hermann Glaser über seinen Abschied von der Nürnberger „Lesebühne“ und Lektüre als „Lebenshilfe“.
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Verabschiedet sich am kommenden Sonntag in der Nürnberger Tafelhalle von acht Jahren „Lesebühne“: Hermann Glaser.
Klaus Schillinger Verabschiedet sich am kommenden Sonntag in der Nürnberger Tafelhalle von acht Jahren „Lesebühne“: Hermann Glaser.

NÜRNBERG - Wilhelm Busch, Mephisto, Manager-Schelte: Publizist Hermann Glaser über seinen Abschied von der Nürnberger „Lesebühne“ und Lektüre als „Lebenshilfe“.

Nach acht Jahren verabschiedet sich Hermann Glasers „Lesebühne“ am 8. März um 11 Uhr in der Tafelhalle mit ihrer 30. Veranstaltung. Ein Mosaiksteichen der lokalen Kultur-Szene blinkt letztmals. Neben den Schauspielern Patricia Litten und Erich Ude wirken Bettina Ostermeier, Sabine Fulda und Manuel Quesada an diesem musikalisch-literarischen Bilanz-Streifzug mit. Der frühere Nürnberger Schul- und Kulturreferent und fleißige Publizist, der wie immer die Texte zusammenstellte, ist diesmal auch Moderator.

AZ: Herr Glaser, Sie waren offiziell schon lange im Ruhestand, als Sie die „Lesebühne“ starteten. Hat Sie die Entdeckung einer Kultur-Marktlücke zuück in die Szene gelockt?

HERMANN GLASER: Von der Quantität her gibt es in der Literatur längst keine Marktlücken mehr. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass Lesungen immer nur auf Autoren oder gerade aktuelle Sachthemen abgestellt sind. Ich wollte mehr versuchen, nämlich die Fülle aller Themen mit Hilfe von Literatur durchwandern.

Also war es gleich ein Langzeit-Projekt?

Zunächst war es nur der Plan für ein Semester des Bildungszentrums mit drei Veranstaltungen. Der große Erfolg im Zeitungscafé, der uns dann zum Umzug zwang, hat uns Freude überrascht. Erst daraus ist die längere Perspektive entstanden.

Ein halbes Jahrhundert früher, also noch vor Ihrer Politik-Karriere, waren Sie auch schon in der Erwachsenenbildung als Vermittler des gedruckten Worts rund um Nürnberg unterwegs. Ist das vergleichbar?

Der gravierende Unterschied liegt nur in der Methode, ansonsten ist das ein lebenslanger Ansatz bei mir. Mein erstes größeres Buch bei Ullstein, in 40000er Auflage erschienen, hatte den Titel „Weltliteratur in Problemkreisen“. Auch damals ging es mir schon um die Spiegelung von Lebensfragen.

Und wo war die Methodik seit dem Jahr 2000 anders?

In der dialektischen Kombination gegensätzlicher Stimmungen durch das System der harten Schnitte. Etwa auf einen Eichendorff einen Gernhardt als satirische Erhellung, immer im harten Schnitt. Es kamen Elemente der Trivialliteratur dazu, was ja kein negativer Wertmaßstab ist. Ein Chanson kann so bedeutend sein wie ein klassisches Gedicht. Ich bin sogar überzeugt davon, dass manche Aphorismen ganze Denkschriften ersetzen können.

Ihr Glaube an die unersetzbare besondere Kraft der Literatur ist also ungebrochen?

Absolut! Das ist natürlich auch durch meine Biografie bestimmt, doch vor allem bin ich persönlich immer wieder angerührt vom Dichter-Wort, dem verdichteten Wort. Den verpönten Ausdruck „Lebenshilfe“ finde ich da gar nicht schlimm, zumindest willkommene Orientierungshilfe sehe ich in diesem Zusammenhang eindeutig positiv.

Die Lust auf das „geflügelte Wort“, gelesen oder gestickt, war aber noch nie ein sicheres Zeichen für geistige Beweglichkeit.

Das würde ich auch nicht behaupten. Doch die Wiederentdeckung vergessener Texte, die Begegnung mit Autoren, die man nicht kennt, bringt oft gute Überraschungen.

Ihre Text-Zusammenstellung ist eine Expedition in die Tiefen des persönlichen Zettelkastens. Gab es da Grenzen zu Klassik und Zeitgenossen?

Nein, nie! Natürlich entwickeln sich gewisse Akzente, aber die Bilanz, die wir soeben zusammengestellt haben, ist eindeutig. In 30 Lesungen haben wir 1164 Texte von insgesamt 482 Autoren vorgestellt, alle Doubletten weggerechnet. Die Texte liegen zwischen Antike und Gegenwart.

Ein geradezu bedrohlicher Dichter-Berg. Gibt es auch persönliche Vorlieben?

Wie meinen Sie das?

Wer Reich-Ranicki über Literatur reden hört, stoppt heimlich die Zeitspanne, bis der Name Thomas Mann fällt. Gibt es für Hermann Glaser den Dichter seines Lebens?

Eindeutig: Nein! Ich wollte immer viele gleichberechtigte Stimmen hören. In Zeiten des Fundamentalismus ist der Eklektiker, der auswählt und überall etwas Gutes entdeckt, auf der richtigen Position.

Ist es Ihnen denn gelungen, mit den Veranstaltungen die Brücke zum emanzipierten Selber-Lesen zu bauen?

Diese Nachwirkung kann ich leider nicht beurteilen. Aber selbstverständlich ist das immer auch in den eigenen Publikationen mein Ziel gewesen. Ich habe noch nicht aufgegeben, die breit gefächerte Thematik der Lesebühne in einer Anthologie unterzubringen.

Die letzte Lesebühne nimmt Wilhelm Busch als Überschrift: „Jeder legt noch schnell ein Ei...“ Sind die alle mit Likör und Nougat gefüllt?

Da sind schon auch ein paar faule Eier dabei! Wir finden bei Dichtern Beschreibungen unserer Misere, die nicht nur allgemein sind. Schiller klagt über den lärmenden Markt des Jahrhunderts, auf dem die Kultur nicht gehört wird, der Manager kommt auch in der Dichtung vor. Neu ins Programm nehmen wir am Sonntag etwas aus Johann Wolfgang von Goethe „Faust II“, wo Mephisto am Hof des Kaisers mit Aktien handelt.

Sie treten zum Abschied als Moderator auf?

Aber nur, weil es der Abschied ist und das Programm, eine Auswahl der Auswahl der Auswahl, ein paar Anmerkungen braucht.

Bleibt ein Rest von Wehmut nach den acht Jahren?

Ich hätte gerne neben denen, die gekommen sind, auch das ganz junge Publikum erreicht. Ich erinnere mich, wie ich mal bei Friseurinnen in der Berufsschule war und weil ich natürlich nichts über Haarmode sagen konnte, Gedichte mitgebracht hatte. Damals sagte eine der jungen Frauen, die Joseph Eichendorff nicht mal vom Kreuzworträtsel her kannte: Das ist ja echt spitze. Von solchen Augenblicken träume ich immer.

Interview: Dieter Stoll

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