Crash-Tests mit toten Kühen

Sicherheitsprobleme im neuen Raubtierhaus: Der Tiergarten stritt mit Statikern um die Stärke der Scheiben und Schutznetze. Dadurch verzögert sich der Umbau um mindestens ein halbes Jahr.
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Gut gebrüllt: Die Löwen und Tiger haben nach dem Umbau des Raubtierhauses doppelt so viel Platz in ihren Ställen.
dpa 4 Gut gebrüllt: Die Löwen und Tiger haben nach dem Umbau des Raubtierhauses doppelt so viel Platz in ihren Ställen.
Problemfall Sicherheitsglas: Drei Zentimeter sollen die Scheiben nun stark werden, zeigt Wolfgang Vinzl, Chef des Hochbauamts.
Berny Meyer 4 Problemfall Sicherheitsglas: Drei Zentimeter sollen die Scheiben nun stark werden, zeigt Wolfgang Vinzl, Chef des Hochbauamts.
Problemfall Stahlseile: Nach umfangreichen Test können Steffen Rost und seine Arbeiter die Sicherheitsnetze nun verlegen.
Berny Meyer 4 Problemfall Stahlseile: Nach umfangreichen Test können Steffen Rost und seine Arbeiter die Sicherheitsnetze nun verlegen.
Mehr Platz für mehr Tiere: Tiergarten-Vize Helmut Mägdefrau zeigt am Raubtierhaus-Model, wo die Geier ihren Horst haben werden.
Berny Meyer 4 Mehr Platz für mehr Tiere: Tiergarten-Vize Helmut Mägdefrau zeigt am Raubtierhaus-Model, wo die Geier ihren Horst haben werden.

Sicherheitsprobleme im neuen Raubtierhaus: Der Tiergarten stritt mit Statikern um die Stärke der Scheiben und Schutznetze. Dadurch verzögert sich der Umbau um mindestens ein halbes Jahr.

NÜRNBERG Dass er sich einmal mit Crash-Tests beschäftigen muss, hätte Tiergarten-Vize Helmut Mägdefrau bis vor einem halben Jahr nicht gedacht. Doch seit bei der Sanierung des Raubtierhauses Sicherheitsbedenken aufgetaucht waren, entwickelt der Biologe Aufpralltests, wie sie sonst in der Auto-Industrie durchgeführt werden. Es geht um die Stärke der neuen Scheiben vor den Raubtiergehegen und die Stabilität des Schutznetzes über den Boxen. Wegen der neuen Anforderungen verzögert sich die Sanierung.

Die Baukosten stiegen schon von einer auf drei Millionen Euro

Bis vor einigen Jahren bauten die Planer auf die jahrzehntelange Erfahrung im Tiergarten bei der Haltung gefährlicher Raubtiere. Doch dann stürzte die Eishalle in Bad Reichenhall ein – und die Baustatiker wurden vorsichtig. So vorsichtig, dass sie den Planungen des Tiergartens nicht mehr trauten.

„Ein Tiger wiegt 250 Kilo. Wenn er in Panik Richtung Scheibe springt, kann er in seinem Käfig aus dem Stand eine Geschwindigkeit von 35 Stundenkilometern erreichen“, erläutert Mägdefrau die Fakten. Die Folgerungen, die die Statiker daraus zogen, wären für den Tiergarten teuer geworden. Sie forderten 39 Millimeter starkes Sicherheitsglas und fünf Millimeter dicke Stahlseile für das Schutznetz.

„Wir hätten ganz anders bauen müssen, um diese Gewichte abzufangen“, sagt Wolfgang Vinzl, Chef des Hochbauamts. Von den explodierenden Kosten ganz zu schweigen. Die haben sich nach den ersten Schätzungen sowieso schon von einer auf inzwischen mindestens drei Millionen Euro erhöht. Vinzl: „Das ist ein Altbau. Wenn man da anfängt, tauchen immer neue Probleme auf!“

Mägdefrau zweifelte auch an, ob die Sicherheitsanforderungen sinnvoll seien, die in anderen Zoos längst nicht so streng seien. Im Nürnberger Fall hatte das Prüfinstitut bei seinen Bruchtests einen Sack verwendet, der mit 250 Kilo Blei und Kies gefüllt war. „Dabei reagiert ein Lebewesen ganz anders. Sie federn Stöße mit den Pfoten ab und haben durch das Körpergewebe quasi eine Knautschzone“, so der Biologe. Deshalb tüftelte er einen neuen Testaufbau aus. „Wir haben tote Kühe, die dann sowieso verfüttert worden sind, aus einigen Metern Höhe auf die Scheiben prallen lassen.“ Ergebnis: Die Energie, die abgefangen werden muss, hat sich nahezu halbiert.

Auf einen Termin für die Eröffnung will sich keiner festlegen

„Seit zwei Wochen wissen wir, dass der Statiker diese Ergebnisse anerkennt“, freut sich Vinzl. Jetzt kann der Bau, der ein halbes Jahr blockiert war, weiter gehen. Die Seile werden nun vier Millimeter stark sein und die Scheiben 30: „Und da haben wir noch enorme Sicherheitsreserven!“

Viel wichtiger für Tiere und Besucher ist jedoch die neue Gestaltung des Raubtierhauses, das 1939 gebaut wurde. Die Tiere haben in den sieben Boxen künftig doppelt so viel Platz. Statt auf Fliesen werden sie auf weichem Rindenmulch laufen. Jeder der Ställe, die mit Sandsteinen und Baumstämmen naturnah gestaltet sind, hat zwei Ebenen.

Die Besucher können ganz nahe an die Boxen kommen und die Tiere durch die drei Meter hohen Scheiben beobachten. Das neue Glasdach sorgt für viel Licht. Außerdem will Mägdefrau das Raubtierhaus, in dem sich die Löwen und Tiger während der Fütterung einmal täglich eine Stunde aufhalten, als Voliere für kleine Geier nutzen: „Die werden frei über den Köpfen der Besucher fliegen!“

Schöne Pläne. Es ist fraglich, ob sie, wie ursprünglich geplant, noch in diesem Jahr Realität werden können. Auf einen Eröffnungstermin will sich keiner festlegen – und auch nicht auf die endgültigen Kosten des Umbaus.

M. Reiner

Mehr über den Nürnberger Tiergarten und seine Exil-Raubtiere lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Donnerstag, 14. August.

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