Coronavirus in Bayern: "Es ist definitiv kein Killervirus"
München - Die 44-jährige Lungenfachärztin Susanne Herold arbeitet am Universitätsklinikum Gießen. Sie hat dort die Schwerpunktleitung Infektologie und eine Professur für Infektionserkrankungen der Lunge.
AZ: Frau Professor Herold, das Coronavirus hat Deutschland erreicht, genauer gesagt Schwabing. Haben Sie Angst, sich anzustecken?
SUSANNE HEROLD: Nein, derzeit nicht. Das Risiko ist in Deutschland noch ziemlich gering. Wir empfehlen auch nicht, Mundschutz zu tragen, sondern die ganz normalen Vorsichtsmaßnahmen, die man in der Erkältungszeit allen Menschen mitgibt: Nicht so oft an Türklinken fassen, häufig die Hände waschen und vielleicht nicht durch die Gegend husten, sondern lieber in die Ellenbeuge, wie es Hygieniker empfehlen.
Sie klingen entspannt. Viele Menschen haben aber Angst vor einer Ansteckung. Ist das auch die Angst vor dem Unbekannten?
Das schwingt sehr stark mit. Wir wissen wenig darüber und das löst natürlich Furcht aus. Und dann sieht man in den Nachrichten Todesfallzahlen und denkt sich, huch, das könnte mich ja auch treffen. Das Virus ist aber nicht wesentlich pathogener (eine Krankheit verursachend, d. Red.) als unsere Influenza. Es ist also definitiv kein Killervirus oder sowas in der Art. Wir wissen, dass Coronaviren normalerweise milde Infektionen wie etwa Erkältungen verursachen. Und wir haben auch jetzt schon in der deutschen Bevölkerung vier verschiedene Coronaviren, die in der Saison auftauchen und milde Infektionen verursachen.
"Neuer Coronavirus ist ein bisschen ansteckender als die Standard-Coronaviren"
Wie unterscheidet sich das neue Virus von diesen vier?
Das neue Coronavirus ist ein bisschen virulenter, also ansteckender, als die Standard-Coronaviren, die wir kennen. Aber es ist kein sehr gefährliches Virus. Man weiß ja auch, dass die Patienten, die daran gestorben sind, vorher krank waren. Der Münchner Patient ist ja auch nicht schwer erkrankt.
Dennoch werden bei dem neuen Erreger deutlich mehr Schutzmaßnahmen ergriffen. Woran liegt das?
Das neue Coronavirus ist gerade erst vom Tier auf den Menschen übergegangen. Üblicherweise vollzieht das Virus, wenn es in der menschlichen Population bleibt, eine Art Anpassung. Das Virus hat im Prinzip das Ziel, sich möglichst gut zu verbreiten, aber den Wirt, also uns, möglichst zu schonen. Denn es will seinen eigenen Wirt nicht umbringen. Das ist vermutlich mit diesen vier Viren, die ich genannt habe, auch so passiert. Und deshalb sind sie jetzt relativ wenig pathogen und verursachen nur milde Infektionen. Was jetzt mit dem neuen Coronavirus passiert, ob es bei uns bleibt und wir damit in den nächsten Jahren immer wieder zu tun haben, oder ob es einfach wieder verschwindet, so wie damals Sars, können wir noch nicht sagen.
Könnte es sein, dass das Virus mutiert und dann gefährlicher wird?
Man kann so etwas zwar nie hundertprozentig vorhersagen, aber aus der Erfahrung heraus ist eher nicht zu erwarten, dass es nach und nach aggressiver wird.
Worst Case? Das Coronavirus begleitet uns noch Jahre
Was wäre also der Worst Case, der schlimmste Fall?
Der Worst Case wäre, dass wir ein zusätzliches respiratorisches Virus haben, das uns möglicherweise noch Jahre begleitet, allerdings, aus den eben genannten Gründen, in deutlich abgeschwächter Form. Wir kennen diesen Prozess der Anpassung übrigens auch von der Influenza. Bei der Pandemie 2019 war das Virus am Anfang etwas aggressiver, ist dann nach und nach in die Bevölkerung übergegangen und ist jetzt mehr oder weniger genauso pathogen wie die anderen Influenza-Stämme.
Ist Corona gefährlicher als eine echte Influenza?
Es scheint nicht so zu sein. Und man muss es auch in Relation sehen: Bei der letzten schweren Grippesaison in 2017/18 hatten wir in Deutschland 25.000 Todesfälle. Im Moment sind es beim Corona-Virus weltweit etwa 130. Und die Grippe ist eine Erkrankung, die man durch eine Impfung verhindern kann.

Apropos Impfung: Wird es eine für das Coronavirus geben?
Das kann gut sein. Es gibt intensive Forschungsaktivitäten dazu, zum Beispiel im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Wir waren auch an einer Studie beteiligt, wo man eine solche Impfung im Tiermodell geprüft hat, initiiert durch das damalige Mers-Coronavirus, das vor fünf oder sechs Jahren im Nahen Osten aufkam. Aber wir sind noch nicht so weit, dass das am Menschen durchgeführt werden kann. Das wird sicherlich noch dauern.
Über welchen Zeitraum sprechen wir da?
Das ist schwierig zu sagen. Ich denke, wir reden aktuell eher von Jahren als von Monaten. Es wird also nicht so sein, dass wir für die aktuelle Welle zeitnah einen Impfstoff bekommen.
"Wir müssen nicht mit einer Infektion rechnen, wenn wir im Bus sind"
Nochmals zu den Vorsichtsmaßnahmen: Die Corona-Infizierten in München werden isoliert.
Wenn im Krankenhaus ein Patient mit einer Grippe ist, wird er ebenfalls isoliert, ebenso wie bei anderen Viren. Die Maßnahmen zur Isolation sind beim Coronavirus ein bisschen intensiver, wir haben zum Beispiel einen dichteren Mundschutz, aber ansonsten ist es ähnlich. Und wir müssen natürlich im Krankenhaus ganz besonders darauf achten, dass es zu keiner Ausbreitung kommt, denn gerade da sind ja kranke Menschen, die natürlich besonders anfällig sind.
Sie haben die Standard-Schutzmaßnahmen erwähnt. Wie sieht es bei Risikogruppen aus, etwa Ältere oder Kranke – sollten die jetzt lieber daheim bleiben?
Im Moment ist das nicht empfohlen, weil wir hier kein großes Ausbruchsgeschehen haben. Das kann sich natürlich noch ändern. Solche kleineren Ausbrüche wie jetzt in München werden extrem gut überwacht von den Behörden. Wir müssen nicht damit rechnen, dass wir uns infizieren, wenn wir jetzt in den Bus steigen.
Was halten Sie von den Maßnahmen, die in China getroffen werden – etwa das Fiebermessen am Flughafen?
Ich glaube, dass die Maßnahmen in China sinnvoll und zielführend sind, sowohl das zeitweise Abriegeln einzelner Gebiete als auch das Fiebermessen. Der Fiebertest ist gut, weil man weiß, dass Patienten mit einer Virusinfektion häufig Fieber haben. Das trifft zwar nicht auf jeden Erkrankten zu, ist aber ein einfaches Mittel, um schnell und nichtinvasiv möglichst viele Menschen zu kontrollieren.
"Virus breitet sich hauptsächlich über den Flugverkehr aus"
Wäre das Fiebermessen auch eine Maßnahme für deutsche Flughäfen?
Das Virus breitet sich hauptsächlich über den Flugverkehr aus. Es wäre daher sicherlich keine schlechte Maßnahme für Patienten aus Infektionsgebieten, sofern die Behörden davon ausgehen, dass es weitere Infektionen geben wird.
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