Corona-Ausbruch: Strenge Regeln in zwei NRW-Landkreisen

Erstmals in Deutschland ist nach den bundesweiten Einschränkungen in der Corona-Krise ein regionaler «Lockdown light» in Kraft getreten. In zwei Kreisen in NRW gelten nun wieder Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Zehntausende Menschen sind betroffen.
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Fröhlich dreinblickende Tiere strahlen als Leuchtreklame auf einem Gebäude von Tönnies. Foto: David Inderlied/dpa
dpa Fröhlich dreinblickende Tiere strahlen als Leuchtreklame auf einem Gebäude von Tönnies. Foto: David Inderlied/dpa

Düsseldorf - Nach dem massiven Corona-Ausbruch in einem Fleischbetrieb von Tönnies ist das öffentliche Leben in zwei Landkreisen von Nordrhein-Westfalen wieder eingeschränkt. Um Mitternacht traten im Landkreis Gütersloh und im benachbarten Kreis Warendorf erneut strenge Auflagen in Kraft. Betroffen sind insgesamt rund 640 000 Einwohner. Im Kreis Gütersloh liegt mit dem Tönnies-Werk Rheda-Wiedenbrück der Ausgangspunkt des Ausbruchs, auch im Raum Warendorf wohnen viele Tönnies-Mitarbeiter.

Im öffentlichen Raum dürfen nun nur noch zwei Menschen oder Menschen aus einem Familien- oder Haushaltsverbund zusammentreffen, wie die Landesregierung am Dienstag mitgeteilt hatte. Zudem sollen eine Reihe von Freizeitaktivitäten unterbleiben. So müssen den Angaben zufolge zum Beispiel Museen, Kinos, Fitnessstudios, Hallenschwimmbäder und Bars geschlossen vorübergehend werden. Die Vorschriften für die neuen Einschränkungen gelten zunächst für eine Woche bis zum 30. Juni.

Vertreter beider Kreise sprachen von einem "Lockdown light", da Geschäfte und Restaurants weiter geöffnet sein dürfen. Er nenne die Maßnahmen "Lockdown soft oder Lockdown light", sagte Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) am Dienstagabend in Gütersloh vor einer Sitzung des Kreistages. "Wenn man das vergleicht mit dem, was wir im März hatten, ist das was, mit dem man sich arrangieren kann. Längst nicht so hart und nur auf eine Woche begrenzt", erklärte er.

Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wollen Bürger aus Corona-Risikogebieten nur noch unter strengen Auflagen einreisen lassen. In Schleswig-Holstein sollen sie sich künftig nach der Einreise zwei Wochen in Quarantäne begeben. Auf der Insel Usedom waren Urlauber aus dem Kreis Gütersloh schon am Montag aufgefordert worden, Mecklenburg-Vorpommern wieder zu verlassen. In einer Telefonkonferenz wollen die Gesundheitsminister der Länder an diesem Mittwoch über eine einheitliche Linie beraten.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warnte davor, Urlauber aus dem Kreis Gütersloh zu stigmatisieren. "Die Botschaft an alle, die jetzt auf Gütersloh schauen: Es sind außerhalb der Beschäftigten in der Fleischindustrie so gut wie keine Fälle bisher bekannt", sagte er am Dienstagabend in der ARD. Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) verteidigte die Beschränkungen für Urlauber aus Corona-Risikogebieten dagegen als unbedingt notwendige Sicherheitsmaßnahme. "Wir möchten nicht, dass der Urlaub in Bayern für viele Leute unsicher wird", sagte er in der ARD und im Bayerischen Fernsehen.

In Bayern dürfen Beherbergungsbetriebe künftig keine Menschen mehr aufnehmen, die aus einem Kreis einreisen, in dem die Zahl der Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen bei mehr als 50 pro 100 000 Einwohner liegt. Ausnahmen soll es nur für diejenigen geben, die einen aktuellen negativen Corona-Test vorweisen können. Im Kreis Gütersloh war die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz nach dem Ausbruch bei Tönnies zu Wochenbeginn auf einen Wert von weit über 200 gestiegen.

Mit Inkrafttreten der strengen Regeln werden in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf die Corona-Tests deutlich ausgeweitet. Laut NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sollen Bewohner und Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen in den kommenden Tagen durchgetestet werden. Gleiches gelte für Mitarbeiter der Krankenhäuser, Beschäftigte im Lebensmitteleinzelhandel und Kioskpersonal. Getestet werden sollen auch die Beschäftigten von Unternehmen und Subunternehmen, die zentrale Gemeinschaftsunterkünfte betreiben oder in einem nennenswerten Umfang Werkvertragsarbeitnehmer beschäftigen.

Alle Bürger der beiden Kreise sollen außerdem die Möglichkeit erhalten, kostenlos einen Test durchführen zu lassen. Die Bevölkerung werde durch Zeitungsannoncen und Lautsprecherdurchsagen zur Testung aufgerufen. "Wir werden auch öffentliche Teststationen über Bundeswehr und Rotes Kreuz errichten", erklärte Laumann. Auf diese Weise soll abschätzbar werden, ob und inwieweit sich das Coronavirus verbreitet hat.

Mehr als 1500 Tönnies-Beschäftige sind nach bisherigen Angaben des Kreises Gütersloh nachweislich infiziert. Rund 7000 Mitarbeiter wurden schon vor den Test unter Quarantäne gestellt. Zudem wurden im Kreis Gütersloh schon vor Tagen alle Schulen und Kitas vorsorglich geschlossen. Im Kreis Warendorf sind die Schulen und Kitas ab Donnerstag geschlossen. Nur in Oelde sind die Einrichtungen bereits ab diesem Mittwoch nicht mehr geöffnet. In der 30 000 Einwohner zählenden Stadt wohnen etliche Tönnies-Mitarbeiter.

In Bulgarien wurden inzwischen drei heimgekehrte Tönnies-Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt. Das sagte der Bürgermeister des südwestbulgarischen Beliza, Radoslaw Rewanski, am Dienstagabend dem Fernsehsender bTV. Die drei Tönnies-Mitarbeiter seien in Deutschland auf das Coronavirus getestet worden, wüssten aber nicht, wie die Tests ausgefallen seien. Sie sollen nach Angaben des Bürgermeisters nun an diesem Mittwoch erneut getestet werden.

Der Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies und die drastischen Einschränkungen für die Bevölkerung dürften am Mittwoch zu heftigen Debatten auch im Landtag von NRW führen. Laschet will am Vormittag das Plenum zunächst über die sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen der Landesregierung im Kampf gegen die Corona-Krise unterrichten. Allerdings wird erwartet, dass angesichts der zugespitzten Lage im Kreis Gütersloh der Fokus der Opposition auf dem Krisenmanagement der schwarz-gelben Landesregierung liegen wird.

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