Cluberer feiern Zettel-Dieter

Crashkurs des FCN-Trainers in Sachen Taktikschulung: Systemumstellung beim 2:1-Sieg gegen Schalke während der Partie ergab kuriose Szenen am Spielfeldrand. Kapitän Wolf wurde zum Matchwinner
NÜRNBERG Einfach zum Genießen, dieser Club im Herbst 2010. Während bei Überraschungsprimus Mainz das schon jetzt ausgeleierte Wort „Matchplan“ gewaltig nervt, kommt beim „Ruhmreichen“ nicht erst seit dem eiskalt herausgespielten 2:1-Sieg über Schalke die Qualität des Trainers anders zum Tragen. Klar, auch bei Dieter Hecking gehört akribische Spielvorbereitung dazu. Doch scheut sich der 46-Jährige nicht, sein Konzept spontan über den Haufen zu werfen. Neben glückseligen Fans sind besonders seine Schützlinge voll des Lobes für „Zettel-Dieter“.
"Taktik im Schnelldurchlauf"
Exakt 21 recht dröge Minuten waren gespielt, als Hecking zu Stift und Papier griff, nacheinander Timmy Simons, Mehmet Ekici & Co. zu sich zitierte. „Ich musste von 4-2-3-1 auf 4-4-2 umstellen, weil wir Schalkes Jermaine Jones nicht in den Griff bekommen haben“, erklärt Hecking den Lehrgang „Taktik im Schnelldurchlauf“. Gut, er hätte auch wie ein Rumpelstilzchen hüpfend und brüllend dirigieren können, aber: „Es ist besser, eine neue Aufteilung kurz aufzuzeichnen.“
Fortan war, bis auf zwei Momente nach Jones’ Platzverweis (Foul an FCN-Torhüter Raphael Schäfer; siehe unten) und dem 1:1 durch Klaas-Jan Huntelaar (74.), von Schalkes millionenschwerem Hühnerhaufen noch weniger zu sehen als zuvor. Weil der Club seine Stärken voll entfaltete: hohes Laufpensum, kompakte Grundordnung, Zweikampfstärke, Kompensation der Ausfälle von Pinola, Eigler (beide muskuläre Probleme) sowie Bunjaku (Knorpelschaden) – und „Standards, die eine echte Waffe von uns sind“, freut sich Hecking. „Wir haben dafür ja einige Ochsen“, hatte er in der Vorbereitung nach der Verpflichtung von Per Nilsson, Julian Schieber und Timmy Simons verkündet.
"Unter Hecking sind wir auch mental gewachsen"
Allerdings war jetzt ein „alter Ochse“ der Matchwinner: Kapitän Andy Wolf. Ließen zunächst der Pfosten und Schalkes Jendrisek aufkeimenden Jubel schlagartig abreißen, explodierte die Stimmung auf den Rängen nur Sekunden später: Ecke Ekici, Kopfball Wolf, wieder Latte – aber erst nachdem der Ball deutlich hinter der Linie war (84.). „Den habe ich irgendwie reingeschummelt“, feixte Wolf. Zusatz: „Aber Tore sollten eigentlich Aufgabe der Stürmer bleiben.“
War es ja, das 1:0, dank Mike Frantz, der es „wunderbar“ fand. „Ich habe ja schon lange nicht mehr Stürmer gespielt“, sagt das saarländische Laufwunder, „die Umstellung hat sich gelohnt.“ Außerdem: „Wir glauben zu jeder Sekunde an uns. Das war letzte Saison anders, da hatten wir nach Rückschlägen nie eine Lösung parat. Unter Hecking sind wir auch mental gewachsen.“ Pinola-Vertreter Pascal Bieler ergänzt: „Wir haben uns gut weiterentwickelt.“
"Man muss den Jungs nur eine klare Linie vorgeben"
Alex Stephan, der für Schäfer ins Tor musste, weiß: „Bei uns ist viel im Kopf passiert.“ Dank Hecking, der beinahe lapidar verrät: „Man muss den Jungs eben nur eine klare Linie vorgeben.“ Warnung inklusive: „Wir dürfen in der Länderspielpause nicht unter Betriebstemperatur geraten, sondern müssen heiß bleiben.“
Denn noch hat es der Club längst nicht schriftlich, auch nächste Saison erstklassig zu sein. „Aber daran arbeiten wir von Spiel zu Spiel“, verspricht Hecking. Markus Löser
Mehr über den Club und Raphael Schäfers Gedächtnislücken lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer Abendzeitung am Montag, 4. Oktober.