Interview

Chef der Krebsgesellschaft: "Was der Seele guttut, hilft den Patienten"

Mut machen, aktiv werden, unterstützen: Experte Markus Besseler erklärt, wie Betroffene den Alltag trotz Krebs meistern können.
Leonie Fuchs |
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Krebskranke Frauen bei einem Kosmetikseminar. Wichtig ist es, Betroffenen Mut zu machen und sie auch beim Thema Haarverlust zu beraten, so der Geschäftsführer der Bayerischen Krebsgesellschaft Besseler.
Krebskranke Frauen bei einem Kosmetikseminar. Wichtig ist es, Betroffenen Mut zu machen und sie auch beim Thema Haarverlust zu beraten, so der Geschäftsführer der Bayerischen Krebsgesellschaft Besseler. © imago images/KS-Images.de

München - Wie lebt man mit Krebs? Mit dieser und weiteren Fragen beschäftigt sich an diesem Samstag (22. Oktober) der 21. Münchner Krebs-Informationstag. Patienten und Angehörige können sich – auch virtuell – informieren und mit Experten austauschen. In den Hörsälen der LMU gibt es zudem Vorträge.

Was die Seele bei Krebs stärkt, darüber hat die AZ mit dem Geschäftsführer der Bayerischen Krebsgesellschaft Markus Besseler gesprochen.

AZ-Interview mit Markus BesselerDer Geschäftsführer der Bayerischen Krebsgesellschaft (61) leitet auch die Beratungsstelle für Betroffene und Angehörige.
AZ-Interview mit Markus BesselerDer Geschäftsführer der Bayerischen Krebsgesellschaft (61) leitet auch die Beratungsstelle für Betroffene und Angehörige. © Fotostudio am Kurfürstenplatz

AZ: Herr Besseler, für Menschen, die mit der Diagnose Krebs konfrontiert werden, ist es oft, als würde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Wie reagieren Sie darauf?
MARKUS BESSELER: In den meisten Fällen bricht tatsächlich erstmal eine Welt zusammen. Patienten erleben die Diagnose oft als Schockmoment, weil Betroffene vorher meistens nicht mit dieser rechnen. Es wird oft als einschneidendes Erlebnis gesehen, das Patienten niemals vergessen. Erstmal ist es dann wichtig zu begreifen, was überhaupt passiert. Das braucht Zeit. Dabei ist es wichtig, den Patienten zuzuhören, genau hinzuhören, wie es ihnen geht. Erstmal würde ich dann darauf eingehen, welche Fragen diese Menschen haben.

Welche sind das?
Zum Beispiel "Wie geht es jetzt weiter?", oder "Wie lange habe ich noch zu leben?". Bei Krebs schwingt immer das Thema Endlichkeit mit. Leider Gottes auch dann, wenn die medizinischen Möglichkeiten gut sind. Man weiß um die Dramatik dieser Krankheit. Es ist wichtig, diese Fragen aufzufangen, Ansprechperson zu sein. Manchmal beklagen Patienten auch, dass die Diagnose von den Ärzten nicht mit genügend Sensibilität weitergegeben wurde. Ich verstehe aber auch die Ärzte, für die die Überbringung einer solchen Nachricht sicher nicht leicht ist.

Worauf sollten Ärzte achten, wenn sie die Diagnose überbringen müssen?
Man kann gewisse Regeln einhalten und es behutsam angehen. Es sollte eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden. Es kann auch eine Vertrauensperson hinzugezogen werden. Störquellen wie Telefone sollten ausgeschaltet werden, um sich wirklich Zeit für Betroffene zu nehmen. Und natürlich muss man sie darauf vorbereiten, was nun geschieht. Die medizinischen Optionen sind ja ausgereift. Diese mitzuteilen schafft Struktur und Halt. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Patienten psychoonkologisch betreut werden. Wir als Bayerische Krebsgesellschaft beraten hierzu.

Krebsgesellschaft macht auch eine "Stilberatung" mit den Betroffenen

Welche seelischen Auswirkungen werden dabei behandelt?
Betroffene sind etwa auch mit Fragen konfrontiert, wie sie die Krankheit nach außen kommunizieren sollen, am Arbeitsplatz oder in der Familie, oder mit der Frage: "Was passiert, wenn ich keine Haare mehr habe?" Das ist besonders für Frauen ein Thema, aber natürlich auch für Männer, wenn sich die Optik verändert.

Wie können Frauen mit dem Haarverlust besser umgehen?
Indem man Kosmetik für sich beansprucht, sich dennoch hübsch macht, eine Perücke sucht, die zu einem passt, oder Kopfschmuck wie Tücher et cetera trägt, der zu einem passt. Wir machen dann sozusagen auch im Weiteren eine Stilberatung mit den Betroffenen. Es ist wichtig, dass man auf diese Sorge um den Haarverlust eingeht und sie nicht als sekundär abtut, den Frauen Mut macht.

Worauf wird noch geachtet?
Bei der Beratung wird durch ein sogenanntes Distress-Screening festgestellt, wie die Belastungen erlebt werden und wie sehr einen Patienten oder eine Patientin verschiedene Themen belasten. Dann können individuelle Angebote oder Gruppen vermittelt werden. Viele Patienten arrangieren das auch eigenständig.

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"Es ist wichtig, der Krankheit etwas Positives entgegenzusetzen"

Gibt es Bewältigungsmechanismen für Betroffene, um den Alltag weiter zu meistern?
Es ist immer gut, im Gespräch zu erfahren, was den Patienten in der Vergangenheit bei schwierigen Situationen geholfen hat, und da anzuknüpfen. Das können ganz banale Dinge sein wie sich den Ärger oder die Angst von der Seele zu schreiben. Andere sind lieber aktiv, treiben Sport, machen Spaziergänge oder etwas Künstlerisches, führen gute Gespräche – alles, was der Seele guttut. Es ist wichtig, der Krankheit etwas Positives entgegenzusetzen. Und sich auch über Therapien zu informieren, mit dem Arzt zu sprechen, das schafft Orientierung und erhöht die Handlungskompetenz und beugt somit dem Gefühl vor, der Krankheit passiv ausgeliefert zu sein. Letzteres ist viel schlimmer.

Was raten Sie Angehörigen?
Für sie ist die Krankheit oft genauso belastend oder gar noch belastender. Angehörige teilen ja auch die Sorgen und Ängste. Es geht dabei auch um Fragen der Existenzsicherung, wenn jemand ausfällt, der zuvor in einer Familie den Hauptteil erwirtschaftet hat. Wir versuchen auch finanzielle Hilfen anzubieten. Bei Angehörigen ist zudem oft Thema, dass sie das Gefühl haben, sie müssen jetzt alles alleine schultern, sie sind damit oft überlastet. Dabei lassen wir sie nicht alleine. Generell empfehlen wir ihnen, den Krebskranken zu unterstützen, ihm aber dabei seine Eigenständigkeit zu belassen. Im Weiteren geht es auch darum, eigene Grenzen als Angehörige zu erkennen und zusätzliche externe Hilfen zu organisieren, sollte der Punkt kommen, dass es zu viel werden könnte und einem das Ganze über den Kopf wächst.

Wie begegnen Sie Ängsten vor dem Tod?
Das Thema Tod ist sehr sensibel. Letztendlich ist es die Realität, dass wir alle irgendwann sterben müssen. Dass diese Erkenntnis durch eine Krebserkrankung wie ein "Brennglas im Fokus" tritt, ist verständlich. Das Beste ist, darüber zu reden. Wie sich der Patient sein weiteres Leben vorstellt, was es zu regeln gibt, was entlastet, sodass man gut gehen kann. Auch wer in der Stunde des Todes da sein soll, oder wie der Nachlass und die Beerdigung organisiert werden soll. Das schafft für viele Entspannung, weil es konkreter wird, eine Form bekommt, die man selbst mitgestaltet. Das ist ganz wichtig. Und vor allem, dass sich der Patient bei seiner Familie und seinen Freunden aufgehoben fühlt.


Der 21. Münchner Krebs-Informationstag informiert live vor Ort von 9 bis 18 Uhr in den Hörsälen der Fakultät für Chemie und Pharmazie der LMU, Butenandtstraße 5-13, und online auf www.krebsinfotag-muenchen.de.

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