Bundestagsjuristen zweifeln an Landes-Infektionsschutzgesetz
München/Berlin - Das bayerische Infektionsschutzgesetz zur Eindämmung der Corona-Pandemie stößt beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestags auf rechtliche Zweifel. Konkret bezieht sich die Kritik des fünfseitigen Gutachtens, welches der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, auf die im Landesgesetz geregelten Kompetenzen des Staates, medizinisches Material zu beschlagnahmen und medizinisches sowie pflegerisches Personal für bestimmte Arbeiten zu verpflichten. Das Gutachten wurde im Auftrag des Bundestagsabgeordneten Niema Movassat (Linke) erstellt.
Am 25. März hatte der bayerische Landtag das Infektionsschutzgesetz beschlossen. Alle sechs Fraktionen stimmten dem in Rekordzeit erarbeiteten Gesetz zu. Um diese Befugnisse nutzen zu können, muss die Regierung aber zuvor den Gesundheitsnotstand ausrufen, dies ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums aber noch nicht erfolgt.
Darüber hinaus wies das Ministerium in München auch die Kritik des Gutachtens zurück: Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung hätten die Länder laut Grundgesetz die Befugnis zur Gesetzgebung, "solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat", sagte ein Sprecher. Da das Infektionsschutzgesetz des Bundes (IfSG) von dieser Gesetzgebungskompetenz keinen abschließenden Gebrauch gemacht habe, durften die Regelungen des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes auf dieser Grundlage erlassen werden.
Die Bundestagsjuristen sehen dies anders. Da die Beschlagnahmungen auch im IfSG geregelt seien, sehen sie eine direkte Konsequenz für das bayerische Gesetz: "Es dürfte daher davon auszugehen sein, dass § 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG eine Sperrwirkung in Bezug auf Regelungen zur Versorgung der Bevölkerung mit medizinischem und sanitärem Material bewirkt", heißt es wörtlich im Gutachten.
Noch kritischer wird in Berlin die Verpflichtungsoption für Mediziner und Pfleger interpretiert. Das Bundesgesetz enthält eine solche Regelung nicht, obwohl dies auch ursprünglich angedacht war. "Die Tatsache, dass der Bund einen bestimmten Bereich ungeregelt gelassen hat, bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass daraus eine Regelungskompetenz der Länder folgt", heißt es im Gutachten.
Die Sperrwirkung gegenüber der Landesgesetzgebung könne auch dann eintreten, wenn der Bund eine bestimmte Materie bewusst nicht geregelt hat und damit zu erkennen gebe, dass er einer Regelung dieser Materie insgesamt ablehnend gegenüber stehe. "Die Tatsache, dass der Bund auf die Aufnahme einer Regelung zur Verpflichtung von medizinischem oder pflegerischem Personal im IfSG verzichtet hat, kann daher auch so interpretiert werden, dass er eine solche Verpflichtung generell nicht geregelt sehen wollte."
Das bayerische Infektionsschutzgesetz könnte am Ende sogar in Gänze unzulässig sein, da hier dem Gutachten zufolge eine sogenannte konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Land vorliegen könnte. Um diese Frage zu beantworten, brauche es aber eine konkrete Betrachtung. Gleichwohl verweist der Autor darauf, dass generell in dem Umfang eine Sperrwirkung für eine gesetzgeberische Tätigkeit der Länder eintrete, in dem der Bundesgesetzgeber tätig geworden sei. Weiter: "Landesrecht, das trotz Sperrwirkung erlassen wurde, ist nichtig. Dies gilt nicht nur, wenn das Landesrecht vom Bundesrecht abweicht, sondern auch dann, wenn es dem Bundesrecht entspricht."
"Markus Söder geriert sich bundesweit als starker Mann im Kampf gegen den Coronavirus. Doch mit dem Grundgesetz nimmt er es nicht ganz so genau", sagte Movassat. Bayern habe gar kein Infektionsschutzgesetz erlassen dürfen. "Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes ist eindeutig." Die Möglichkeit, Personal zwangszuverpflichten, sei "nicht nur ein herber Schlag in das Gesicht von hunderttausenden Ärzten und Pflegekräften, sondern auch ein Schlag gegen das Grundgesetz". Das Gesetz müsse schleunigst wieder aufgehoben werden.