Bürgerentscheide in Bayern: Stoppt die Ampel!

Hochzeitsmuseum, Spa, Krematorium: Jedes Jahr gibt es in Bayern rund 100 Bürgerentscheide zu fast jedem Thema – die AZ stellt einige Höhepunkte vor  
Timo Lokoschat |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Hochzeitsmuseum, Spa, Krematorium: In Bayern gibt es zu nahezu jedem Thema Bürgerentscheide – AZ-Redakteur Timo Lokoschat stellt einige Höhepunkte vor

MÜNCHEN - Nur alle vier, fünf Jahre wählen? Damit fühlen sich die Bayern definitiv unterfordert. Seit 1995 haben sie 1772 zusätzliche Urnengänge unternommen – das sind über 100 pro Jahr.

Die Hürden sind im Freistaat auch nicht allzu hoch: Zwischen drei und zehn Prozent der Wahlberechtigten müssen das Begehren unterstützen, damit eine Abstimmung stattfindet – je niedriger die Einwohnerzahl, desto mehr Beteiligung ist erforderlich.

München hat das seit 1996 bereits 31 Mal hinbekommen, zuletzt ging es bekanntlich um die dritte Startbahn. Aber auch andere Gemeinden haben ihre Sorgen. Zwar geht es dort nicht um Flughäfen, Hochhäuser oder Magnetschwebebahnen – die Debatten laufen jedoch nicht weniger lebhaft ab als in der Landeshauptstadt. Wir haben ein paar Beispiele zusammengetragen.


 

Gegen den Aufzug!

Ort: Kronach.

Jahr: 2009.

Anlass: Es soll einen Aufzug in der Stadtmauer geben, der die Obere mit der Unteren Stadt verbindet.

Argumente der Befürworter: Die Obere Stadt sei mit Aufzug leichter erreichbar für Eltern mit Kinderwagen, Menschen mit Behinderung, Senioren, Touristen, Kronacher selbst – „einfach für alle“.

Argumente der Gegner: Der Aufzug sei mit mindestens 400000 Euro zu teuer und „verschandele“ das Stadtbild.

Ergebnis: 74,9 Prozent gegen den Aufzug.

Reaktionen: „Ein Sieg der nüchternen Vernunft“, kommentiert einer der Initiatoren. „Es wäre ja ein soziales Wunder gewesen, wenn die Bedürfnisse von Minderheiten von Mehrheiten eingefordert würden“, grantelt ein Aktivist der Befürworter.


 

Gegen das Spa!

Ort: Geretsried/Gelting.

Jahr: 2008. Anlass: In der Gemeinde soll „Spaladin“ entstehen, das größte Spa der Welt.

Argumente der Befürworter: Tourismus, Steuereinnahmen, Arbeitsplätze.

Argumente der Gegner: Der „Monsterbau“ verbrauche zu viel Wasser. Touristen würden das Dorf überrennen. Das Motto der Initiatoren: „Spar dir Aladin!“

Ergebnis: 80 Prozent votieren pro Spa.

Reaktionen: Riesen-Jubel bricht im Ratsstubensaal aus, als das Ergebnis bekannt wird. Später folgt die Ernüchterung: Der geheimnisvolle Investor, ein saudischer Scheich namens Adnan, meldet sich nicht mehr. Bis 2013 hat er noch Zeit.


 

Gegen den Skatepark!

Ort: Herrsching.

Datum: 2006.

Anlass: Der Stadtrat will eine Skateranlage am Seeufer verwirklichen.

Argumente der Befürworter: Eine Skateranlage wäre ein „schöner Spielplatz“, eine „Investition für die Zukunft“, ein „Treffpunkt für Jung und Alt an der frischen Luft“, steht in dem Wahlaufruf von SPD, FDP, Grünen und Freien Wählern. Der Leiter der Musiklehrervereinigung Herrsching, Karl Rellensmann, formuliert darin: „Wenn doch die Minderheiten der Pingpongspieler und Hackbrettvirtuosen unserer Unterstützung bedürfen: Warum dann nicht auch die Minderheit der ebenso virtuosen Skater? Contra Diskriminierung heißt für mich: pro Skaterbahn!“

Argumente der Gegner: Die Skateranlage soll 125000 Euro kosten. Dies sei zu „luxuriös“ für den „Trendsport einer kleinen Minderheit“. Die in Aussicht gestellten Spenden würden wahrscheinlich nicht kommen. Unklar sei zudem, wer im Falle von Unfällen hafte und wer die Anlage saubermache. Das Geld solle lieber in den Straßenbau investiert werden.

Ergebnis: 69,7 Prozent votieren gegen die Anlage, 30,3 Prozent dafür – die Wahlbeteiligung liegt bei rund 46 Prozent.

Reaktionen: Die Herrschinger Jugendlichen sind frustriert. Ein paar Jahre später, 2008, bekommen sie ihre Skateranlage aber doch noch – zwar nicht direkt am Ufer, aber in der Nähe, am Ammerseestadion. Das Projekt kostet 86000 Euro. „Ein Skatepark mit dicker Pyramide, Curb Cut combo, einer fetten Ramp und einer zehn Meter breiten Quarter Bank combo“, heißt es begeistert auf einer Internetseite für Skater.


 

Gegen die Erhebung zur Stadt!

Ort: Gröbenzell.

Jahr: 2010.

Anlass: Die 1952 gegründete Gemeinde nordwestlich von München – rund 19500 Menschen leben hier – soll offiziell zur Stadt erhoben werden.

Argumente der Befürworter: Gröbenzell bleibe gegenüber den neuen Städten Olching und Puchheim „weiter auf Augenhöhe“, formuliert der Gemeinderat. „Stadtluft macht frei“, sagt ein SPD-Mann.

Argumente der Gegner: Sie fürchten unerwünschte Gewerbeansiedlungen und größere Verkehrsbelastung. Die Grünen, Mitinitiatoren des Bürgerbegehrens, halten den Titel „Stadt“ schlicht für „Wichtigtuerei“.

Ergebnis: 63 Prozent wollen eine Gemeinde bleiben.

Reaktionen: Der Grünen-Politiker Martin Runge findet, dass die Stadtbefürworter eine „Klatsche“ bekommen hätten, dass es nur so „pfeife“. SPD-Fraktionssprecher Michael Schrodi spricht dagegen von einem „Pyrrhussieg“ und kritisiert die beispiellose „Desinformationskampagne“.


 

Gegen das Museum!

Ort: Wirsberg.

Jahr: 2010.

Anlass: Die Gemeinde, die sich als „1. Hochzeitsdorf Deutschlands“ bezeichnet, würde gerne ein Hochzeitsmuseum errichten.

Argumente der Befürworter: mehr Touristen. Der Ort werde zu einem „Zentrum der deutschen und internationalen Hochzeitskultur“.

Argumente der Gegner: die angespannte Haushaltslage – der Bau soll zwei Millionen Euro kosten.

Ergebnis: 556 zu 283 – gegen das Projekt.

Reaktionen: „Die historische Chance auf das erste Deutsche Hochzeitsmuseum ist im Nichts verlaufen“, sagt Bürgermeister Hermann Anselstetter enttäuscht. „Die Folge ist: Der Glanz des Hochzeitsdorfes Wirsberg wird verblassen.“ Diesen April hat er das Thema wieder auf die Agenda gesetzt. Die Gegner drohen schon mit einem neuen Bürgerentscheid.

 


 

Gegen das Krematorium!

Ort: Kissing.

Jahr: 2010. Anlass: Ein Investor will ein Krematorium bauen.

Argumente der Befürworter: Die Anlage sei eine sinnvolle Investition, lasse Gewerbesteuereinnahmen sprudeln und liege am Ortsrand. Außerdem würden Angehörige nach der Verbrennung noch die örtliche Gastronomie besuchen. Erdbestattungen seien möglicherweise eine Gefahr für nachfolgende Generationen – aufgrund der Giftbelastung, doziert der Bürgermeister.

Argumente der Gegner: „Wir wollen keine Minderung der Wohnqualität durch zusätzliche Emissionen und Geruchsbelästigungen, sehr hohen Leichentourismus von über 2000 Verbrennungen und Zerstörung eines Naturschutzgebietes!“, schreibt die Initiative. Andere Orte würden Freibäder und Kinos bauen. „Wir bauen ein Krematorium!“

Ergebnis: Die Unterstützer des Begehrens sammeln über 1000 Unterschriften. Das hätte gereicht. Doch der Bürgermeister lehnt den Antrag ab – auf jeder Seite müsse stehen, dass es sich um ein Bürgerbegehren handele, dies sei aber nur auf dem Deckblatt der Fall. Die Gegner rauchen vor Zorn, verlassen mit einem sarkastischen „Danke!“ den Sitzungssaal.

Reaktionen: „Herr Haupt“, ruft Bürgermeister Manfred Wolf dem Investor kurz darauf zu, „Sie können loslegen!“ Seit August 2011 ist das Krematorium in Betrieb. Es heißt „Am Auenwald“. Täglich finden zehn Verbrennungen statt.

 


 

Für den Kreisel!

Ort: Weisendorf.

Jahr: 2010.

Anlass: An der Kreuzung der Erlanger Straße zur Hochstädter Straße soll ein Kreisverkehr gebaut werden – oder eine Ampel.

Argumente der Befürworter: Ein Kreisel ist umwelt- und anwohnerfreundlicher, weil in ihm langsamer gefahren wird, sagen die Grünen („Stoppt die Ampel!“).

Argumente der Gegner: Eine Ampel wäre die schnellste, wirtschaftlichste und sicherste Lösung, so die Ratsmehrheit aus CSU/SPD.

Ergebnis: 852 Stimmen für die Ampel, 777 Stimmen dagegen. Das Quorum von 20 Prozent (973 Stimmen) wird von keinem der beiden Vorschläge erfüllt.

Reaktionen: „Alles war für die Katz! Die Gemeinde hat Geld ausgegeben, zahlreiche ehrenamtliche Helfer verbrachten ihren Sonntag im Wahllokal!“, schimpft Bürgermeister Alexander Tritthart (CSU). Der Gemeinderat gibt nach langer Debatte grünes Licht für die Ampel.

 

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.