Bryologe Stefan Gey im Interview: "Moose haben jeden Winkel der Welt erobert"

Moosexperte Stefan Gey attestiert den besonderen Pflanzen in Alpinlagen zwar eine unberührte Moosflora. Doch der Klimawandel zeigt sich hier deutlich. Geys Ziel: Die Kartierung aller Moose der Berchtesgadener und Chiemgauer Alpen. 700 Arten hat er bereits gefunden.
AZ: Herr Gey, Sie sind Moosexperte und arbeiten für den Nationalpark Berchtesgaden. Wissenschaftlich korrekt bezeichnet man Sie als Bryologen. Wie sind Sie zu diesem Hobby gekommen?
STEFAN GEY: Ich bin eigentlich Softwareentwickler im Gesundheitsbereich. Meine Begeisterung für die Natur und für Pflanzen habe ich seit meiner Kindheit. Ich war acht Jahre alt.

In meinem ersten Urlaub in Österreich sah ich eine Wildorchidee am Wegrand. Moose haben mich erst später in ihren Bann gezogen. Moose sind klein und man muss sich die Mühe machen, sie genau mit einer Lupe zu betrachten. Mein Interesse an Moosen ist dann durch ein spezielles Moos förmlich explodiert.
Unglaubliche Anpassungen, Lebensweisen und Schönheiten
Welches war das?
Damals las ich einen Artikel über das sagenumwobene Leuchtmoos in dunklen Felsklüften des Elbsandsteingebirges. Damit war der Jagdtrieb geweckt. Als ich dann das erste Mal vor einer Höhle stand, aus der mich das smaragdgrüne Glimmen des Leuchtmooses anstrahlte, konnte ich es kaum glauben. Es ist unglaublich, welche Anpassungen, Lebensweisen und Schönheiten unter diesen kleinen Pflanzen existieren. Mittlerweile bin ich jedes Jahr auf mehreren Moosexkursionen in ganz Deutschland und vielen Nachbarländern unterwegs. Mein Hauptziel ist die systematische Kartierung aller Moosarten der Berchtesgadener und der Chiemgauer Alpen. In sechs Jahren konnte ich schon über 35.000 Datensätze zu knapp 700 Arten erfassen.
"Ohne Moose hätte es das Leben an Land wohl nie gegeben"
Moose gelten als Überlebenskünstler der Pflanzen…
Ohne Moose hätte es das Leben an Land wohl nie gegeben. Sie sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft aus Algen entstanden, die in den Gezeiten der Urmeere regelmäßig trocken fielen. Sie bildeten an Land die Grundlage für die Entwicklung der höheren Pflanzen. Moose haben jeden Winkel der Welt erobert, sie wachsen in der Arktis wie auch im Regenwald, im Hochgebirge wie auch in der Steppe. Sie siedeln in Baumkronen ebenso wie an schroffen Felsklippen oder unter Wasser. Einige wachsen sogar auf Dung oder Kadavern.
Mittelgebirge und Alpen gelten als besonders artenreich
In Bayern gibt es knapp 1000 Moosarten. Wie sieht es in den Alpen aus?
Moose sind in allen Naturräumen Bayerns zu finden. Besonders artenreich sind aber Mittelgebirge und Alpen, die durch ihre Geographie und Geologie eine Vielzahl von potenziellen Moosbiotopen aufweisen. Bevorzugte Wuchsorte befinden sich in feuchten und schattigen Lebensräumen wie Bachtälern, an Felsstandorten und totholzreichen alten Wäldern. Artenarm sind Fichten-Monokulturen, Äcker und Fettwiesen.
"Ein expliziter Schutz von Moosen existiert bis heute nicht"
Knapp 40 Prozent der in Bayern vorkommenden Moose sind gefährdet. Gibt es Schutzmaßnahmen?
Viele der gefährdeten Arten nehmen extreme Standorte ein, sind Reliktarten oder reagieren auf Umwelteinflüsse besonders empfindlich. Einige von ihnen wachsen nur an ein oder zwei Stellen in Deutschland oder gar in Europa. Der Verlust alter Biotope hat eine Reihe von Arten verschwinden oder zurückgehen lassen. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Entwässerungen und Abtorfungen der Moore im Alpenvorland. Ein expliziter Schutz von Moosen existiert bis heute nicht. Es werden lediglich Lebensräume geschützt und somit die benötigten Strukturen erhalten.
Auskunft über Umweltparameter wie Klima und Luftqualität
Kann die Moosflora Indikator für den ökologischen Zustand des Nationalparks sein? Wie gut ist der Park in dieser Hinsicht aufgestellt?
Ja, sehr viele Moosarten geben eine genaue Auskunft über Umweltparameter wie Klima, Luftqualität und Wassergüte. Anhand einer Reihe von sogenannten Zeigerarten erkennen wir, wie es um eine Region oder ein Biotop bestellt ist. Im Nationalpark kann man anhand der Moosflora gut erkennen, dass sie dort artenreicher wird, wo man weiter von landwirtschaftlich beeinflussten Gebieten entfernt ist.
Warum?
Durch Nährstoffeinträge werden viele Biotope negativ beeinflusst. Im Nationalpark sind alte Wälder mit hohem Totholzanteil besonders wertgebend. Auf Totholz lassen sich viele gefährdete Moosarten finden, etwa auf der Halbinsel St. Bartholomä am Königssee. Weitere Hotspots von Moosen sind Schluchten und die alpinen Matten, die eine arktisch-alpine Flora bieten.
"Es gibt noch viel zu tun und zu entdecken"
Und in den Hochlagen?
In den Hochlagen des Nationalparks findet man noch eine weitgehend unberührte Moosflora vor. Man erkennt allerdings bereits deutliche klimabedingte Veränderungen.
Welche Fortschritte hat Ihre Forschung im Nationalpark bislang gemacht?
Wir konnten zahlreiche Nachweise seltener Arten dokumentieren. Insgesamt beschränkt sich unsere Kartierung zu den Moosen aber bislang auf einige wenige prominente Stellen im Nationalpark, wie etwa Funtensee, Klausbachtal, Königssee und die Wimbachklamm. Die alpinen Bereiche am Hochkalter, am Hohen Göll, Schneibstein oder Watzmann sind in neuerer Zeit noch nicht intensiv untersucht worden. Wenn überhaupt, liegen nur historische Angaben vor. Es gibt noch viel zu tun und zu entdecken. Im Fokus stehen Moosarten, die im Nationalpark ihr einziges Vorkommen in Deutschland besitzen, aber nur historisch erwähnt werden.