Blutige Grimasse Mensch
Nürnberg - Komisches Mahnmal: Schauspiel-Chef Klaus Kusenberg übernimmt mit seiner Inszenierung von Bert Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ die Kongresshalle als Ausweichspielstätte
Auf das gewisse Bärtchen, das die deutsche Ausgabe des „Duweißtschon“ für alle Doku-Ewigkeit zum verunglückten Gegenpol von Charlie Chaplin macht, muss man in Klaus Kusenbergs Nürnberger Neuinszenierung des Brecht–Stückes „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ lange warten. Erst zum Finale, wenn der Chicago-Gangster schon blutig zugeschlagen hat und die Machtergreifung ihre braune Uniform bekommt, tritt der Banden-„Führer“ im vollen Besitz seiner Requisiten-Größe vor die Welt. Da will die Aufführung ihr breit gestreutes Gelächter per Schocktherapie einfrieren und dem Zuschauer ins Gewissen fahren. Nur für einen Moment, dann werfen die Schauspieler ihre Masken ab und treten zur Verbeugung an die Rampe, die ihnen schon vorher liebster Aufenthaltsort war. Viel Beifall, klarer Erfolg!
Ohne den Spielort in der alten Colosseum-Kongresshalle von Nazi-Architekt Albert Speer, wo das Nürnberger Schauspiel für 18 Monate ein passables Ersatzquartier findet, ist diese Produktion kaum denkbar. Klaus Kusenberg wollte deutlich reagieren auf die Kulisse, die bei der Sommerabend-Premiere ihren giftigen Charme mächtig idyllisch spreizte. Die Brecht-Parabel – nicht grade ein Modellfall feingesponnener Dramatik, aber der komödiantische Versuch, einer Verbrecher-Ideologie die heiße Luft abzulassen – war die richtige Wahl. Auch wenn die Doppelschlag-Verfremdung, die das Hitler-Abziehbild Arturo einerseits zum dummschwätzenden Karfiol-Paten macht, ihn andererseits mit hochhackiger Schiller-Kunstsprache ausstattet, nicht mehr die ganz großen Funken schlägt. Die Verblumenkohlung der Vergangenheit haben längst Komiker von heute übernommen, und die tun sich leicht mit professioneller Ahnungslosigkeit.
Klaus Klusenberg hat gegen den schwingenden Zeigefinger und für eine schwarze Revue entschieden. Er führt in schnittig gleitenden, manchmal gar wie von Woody Allen gelenkten Szenen nostalgischer Leih-Ästhetik vom Prolog direkt ins Panoptikum. Bleichgesichtige Gespenster steigen aus aufgetürmten Sperrholzkisten (Bühne: Günter Hellweg), lauern hinter dem Vorhang oder heben ihre Stimme in passender Relation zur krakeelenden Körpersprache. Gebellt wird immer. Der Arturo (Thomas Klenk spielt ihn erst knurrend wie Frankensteins Monster und dann als knisternden Lautsprecher auf Attackenschaltung) und sein Spießgeselle Röhm/Roma (Pius Maria Cüppers setzt einen Kläffer in Bewegung) führen das große Herren-Ensemble an. Nicola Lembach als einzige Frau auf der Bühne spielt alkoholisierte Gangsterbraut und die auf elegante Art ebenso unmögliche Verleger-Gattin kontrastreich. Am Ende ist sie gepeinigtes Opfer und als solches einfach „Eine Frau“ – aber genau da knirscht es im Gebälk der Regie-Konstruktion. Wo Kusenberg nach zwei Stunden grotesker Balladen-Stilisierung im harten Schnitt Betroffenheit verlangt, überfordert er das eigene Konzept und die Zuschauer. Da hätte er auch Brechts Epilog-Predigt „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ behalten können. Die zuvor abendfüllend kabarettistisch eingespielten Schnipsel-Wagnereien sind bloß ulkig, den Beethoven als Stimmungs-Veräppelung hätte man sich einfach sparen sollen.
Dem Zuschauer, der mit dem Polit-Entertainment gut bedient ist (ein Chaplin oder Lubitsch war Brecht nun mal nicht), bleibt der individuelle Erkenntnisprozess, wie weit er denn Spitz auf Knopp mit seiner TV-Bildung bei der Figuren-Entschlüsselung über Hindenburg hinaus kommt.
Die Fronten sind klar, aber etwas deutlicher mehr als „Grimasse Mensch“ hätte es schon sein dürfen. Dieter Stoll
Nächste Aufführungen: 21., 24., 26.6., 2. bis 4.7., 10/11.7. - Karten Tel. 0180 - 5- 231600
- Themen:
- Ludwig van Beethoven