Blümchen im Kreuzgang
NÜRNBERG - Johannes Kaetzler ist der neue Intendant der Feuchtwanger Kreuzgang-Festspiele. Sie will er mit Historie, Klassik und Stars wie Blümchen neu positionieren.
Nach dem Sommer ist auch vor dem Sommer: Während die Gedanken an luftiges Theater an lauen Abenden grade in Schnee und Eis erstarren, haben die Kreuzgangspiele Feuchtwangen ihren neuen Intendanten installiert. Das Juni/Juli/August-Spektakel in romantischem Gemäuer, neben den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel das populärste Angebot dieser Art in Franken, will sich im härter werdenden Wettbewerb besser positionieren. Johannes Reitmeier, hauptberuflich Theaterchef in Kaiserslautern, hatte nach nur drei Spielzeiten seinen Reformversuch aufgegeben – und den Weg frei gemacht für Johannes Kaetzler. Der Hamburger Regisseur, der einst Assistent von Ingmar Bergman war, will die Festspiele mit Scheunen und Gärten ausweiten und dramatisiert sich den Einstieg selbst. Für „Der Glöckner von Notre Dame“ im Juni 2009 hat er die Lollo-Partie der Esmeralda mit „Blümchen“ Jasmin Wagner besetzt.
AZ: Die Verweildauer der Kreuzgang-Intendanten deutet auf Probleme hin. Müssen Sie die Festspiele jetzt nochmal neu erfinden?
JOHANNES KAETZLER: Es gab eine gewisse Krise im vorletzten Jahr, doch der Wiederaufschwung hat schon 2008 begonnen. Aber wir sehen, dass die Konkurrenz der Sommerspiele riesig geworden ist, also müssen wir unser Profil kraftvoll entwickeln.Dazu gehören auch zusätzliche Spielstätten wie im Nixelgarten.
In welcher Liga spielt Feuchtwangen denn aktuell?
In Schauspieler-Kreisen wird es in einem Atemzug mit Bad Hersfeld und Jagsthausen genannt. Der romantische, trotz seiner 585 Plätze intime Kreuzgang als außergewöhnlicher Spielort ist auch denen ein Begriff, die ihn noch nie gesehen haben.
Wenn es regnet, ist es schnell vorbei mit der Romantik...
Das wird sich ändern. Der ganze Eingangsbereich ist mit viel Geld neu gestaltet und noch im Dezember wird das Modell für ein mobiles Dach vorgelegt. Der einmalige Blick auf die Architektur darf darunter natürlich nicht leiden.
Freilichtspiele haben im Laufe der Zeit eigenartige Schwerpunkte entwickelt, neben Klassikern lange Zeit viel Brecht, Frisch und Dürrenmatt aus der Ablage geholt, aber auch Musicals gewagt. Wohin wollen Sie?
Mir geht es um Stücke, die dem Geist des Ortes entgegenkommen. Deshalb fange ich mit einer eigenen Dramatisierung von „Der Glöckner von Notre Dame" an.
Wo steckt da der Geist?
Wie Victor Hugo seine Geschichte ins mittelalterliche Paris hineinfantasiert hat, könnte sie sich auch hier im Schatten des Klosters zugetragen haben. Das gilt auch für unsere zweite Produktion 2009, wo Kleists „Der zerbrochne Krug" an die Historie anknüpft, denn im Spätmittelalter diente der Kreuzgang als öffentliche Prozess-Stätte.
Und daran wollen die Feuchtwanger erinnert werden?
Die Sommerspiele wurden vor 60 Jahren gegründet, und wenn man die Motive dafür nachliest, wird klar, dass es nicht nur um einen Event-Knaller ging. Man wollte nach der Nazi-Zeit bewusst wieder einen Ort der freien Kunst schaffen. Inzwischen kommt ein großer Teil der Besucher längst aus dem Nürnberger Raum dazu.
Ins Freie drängt traditionell ein Publikum, das übers Jahr eher selten Theater besucht. Was bedeutet das für Sie?
Einen Spagat, denn hier darf sich kein Theatermacher über den Widerspruch interessant machen wollen. Es geht immer um klar erzählte, nachvollziehbare Geschichten und die Freisetzung großer schauspielerischer Energien.
Da spannt man gerne Star-Zugpferde vor den Karren...
Ich habe Tourneetheater-Erfahrung und gelte als starkompatibler Regisseur, bin jedoch skeptisch. Wir wollen kein Ego-Shooting.
Und was ist mit „Blümchen“?
Aus Jasmin Wagner ist eine richtig gute Schauspielerin geworden – das ist der Grund.
Ist Jesus Christ im Kreuzgang etwa der nächste Schritt?
Sie lächeln da etwas diabolisch, aber das könnte funktionieren. Nicht gleich, vielleicht später. Musicals müssen perfekt sein, und das ist teuer. Zunächst denke ich mehr an Bearbeitungen von Romanen und Filmen, vielleicht ein Stück über Tilman Riemenschneider, die Dramatisierung eines Krimis von Ingrid Noll oder auch, wenn ich jetzt einfach mal weiterspinne, die Übertragung von „Spiel mir das Lied vom Tod".
Es ist also nichts unmöglich?
Wenn es passt und unterhaltsam ist - nein! Ich bin bloß ein Gegner von Event-Blasen. Interview: Dieter Stoll