Bloß keine Klageweiber!

Wo die Kunst der Antike auf Polit-Floskeln von heute trifft: „Atropa oder Die Rache des Friedens“ hat am 24. Oktober Premiere in Nürnberg.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Blickwechsel zwischen Antike und Pentagon: Szene aus der Nürnberger Produktion „Atropa oder Die Rache des Friedens“ mit Agamemnon (Michael Hochstrasser).
Marion Bürhle Blickwechsel zwischen Antike und Pentagon: Szene aus der Nürnberger Produktion „Atropa oder Die Rache des Friedens“ mit Agamemnon (Michael Hochstrasser).

NÜRNBERG - Wo die Kunst der Antike auf Polit-Floskeln von heute trifft: „Atropa oder Die Rache des Friedens“ hat am 24. Oktober Premiere in Nürnberg.

Es war in Belgien 2008 das „Stück des Jahres“ und bringt Nürnberg nun neben einer deutschsprachigen Erstaufführung auch die Wiederbegegnung mit dem Autor Tom Lanoye. Von ihm hat Regisseur Georg Schmiedleitner hier die Shakespeare-Adaption „Margaretha di Napoli“ und die Antiken-Variante „Mamma Medea“ inszeniert. Bei „Atropa oder Die Rache des Friedens“ geht es um einen Aufstand der Frauen gegen den Machtmenschen Agamemnon (Michael Hochstrasser). Premiere: Am 24. Oktober in der Kongresshalle.

AZ: Herr Schmiedleitner, das Personal von „Atropa" kennen wir aus Ihrer „Orestie". Hilft uns das weiter?

GEORG SCHMIEDLEITNER: Schaden tut’s nicht! Dann weiß man, dass es eine blutige Vorgeschichte gibt, die wie eine Folie über der aufgekochten Situation liegt.

Von einer „radikalen Neudeutung" durch Tom Lanoye ist die Rede. Was kann radikaler sein als das Original?

Dass er sich ganz aufs Wort konzentriert, alle Zeit nimmt für die Situation, in der über Mord und die grauenhaften Methoden, die dazu führen, gesprochen wird. Das setzt beim Zuschauer ungeheure Assoziationen in Bewegung.

Ganz wie bei der „Orestie" - aber wo ist der Unterschied?

Es ist eine mutige Weiterdichtung, salopp im Umgang mit dem Material. Die Orestie war der große Bogen einer Geschichte, jetzt leuchten wir in die Machtzentrale, quasi ins Pentagon hinein.

Es geht um den Blick der Frauen auf den Trojanischen Krieg. Oder auf alle Kriege?

Geredet wird über Troja, aber natürlich schwingt auch der Irak mit. Da hat der Autor vielschichtige Situationen aufgerissen, wo Frauen auch Täterinnen sind.

Also kein Loblied auf den Feminismus als Alternative?

Sowas hat Lanoye Gottseidank nicht geschrieben, und die Probensituation war so, dass sich die Frauen selber kritisch zugeschaut haben. Wir sind darauf bedacht, keine Klageweiber auftreten zu lassen, sondern Frauen, die Wut gegen die kriegerische Welt der Männer in sich tragen. Sie sind angriffslustig, scharfzüngig und dadurch ganz heutig. Aber es sind auch Macht-Monster.

Letztlich scheitern sie...

Am Ende, wo sie sich bewusst abschlachten lassen und den Machthaber einsam inmitten der Toten zurück lassen, entsteht ein empörendes Bild, wie es sonst nur Lars von Trier oder Michael Haneke in ihren Filmen hinkriegen.

Agamemnon ist der einzige Mann im Ensemble. Ist er als Prototyp nicht doch etwas überfordert?

Da haben wir uns einiges überlegt. Er ist als sanfter Despot der Hahn im Korb, der sich Frauen aussuchen kann, und andererseits erhofft er sich Argumentationshilfe von ihnen, um das Grauen zu begründen. Aber diese Erlösung wird ihm nicht gestattet.

Die Sprache des Stückes besteht aus Kunst von gestern und Polit-Floskeln von heute. Wie reibt oder reimt sich das?

Es wird eine Art Bewältigung der Macht durch Sprache. Das Zusammenspiel so unterschiedlicher Qualität lässt einen prickelnden Sound entstehen.

Bush und Rumsfeld in Partnerschaft mit Euripides und Aischylos - ist da nicht irgendwo das Verfallsdatum abgelaufen?

Trotz Obama schwebt dieser gewisse Geist weiter über der westlichen Gesellschaft. Ich bin überzeugt davon: Die nächste Kriegserklärung wird wieder das gleiche, austauschbare Sprachmuster haben wie die letzte.

Alt-Griechenland zeigen Sie sicher nicht, müssen wir etwa mit dem Weißen Haus rechnen?

Nein, wir haben die Metapher eines Hotels als Ort von Einsamkeit und Melancholie gewählt, das an der Schnittstelle der Kulturen steht. Vielleicht ein zerbombtes Haus in Bagdad. Ich denke, dass wir damit den Raum in der Kongresshalle gut in den Griff bekommen, denn dort wird ja alles schnell zur Puppenstube.

Und am Ende bleibt der Mann als Sieger übrig?

Radikaler kann es doch gar nicht enden. Klytämnestra schlachtet die Frauen, die das selbst wissentlich provoziert haben, in Agamemnons Sinn ab und er steht dann jämmerlich einsam vor den ausgelöschten Leben und ringt sich den fürchterlichen Satz vom Neuanfang ab. Der Machtmechanismus ist ihm nicht rauszuprügeln. Man könnte schon fast lachen drüber.

Nachdem Sie so viel mit antiken Chören gearbeitet haben, war der Schritt zur Oper nicht groß. Geht es mehrspartig in Nürnberg weiter?

Beim ersten Versuch mit „Fidelio" in Hannover war überraschend, dass man mit Sängern genau so arbeiten kann wie mit Schauspielern. Also habe ich gern das Angebot von Intendant Peter Theiler für nächste Saison angenommen.

Gilt Ihr Interesse uneingeschränkt der ganzen weiten Opernwelt?

So schnell werde ich sicher keine der feinsinnigen Mozart-Oper inszenieren - mir geht es um die heftigen Stoffe.

Dann folgt also die nächste Donizetti-Wahnsinnsarie nach Schmiedleitner-Design?

Lieber nicht, mich interessieren Stück wie Strawinskys „The Rakes Progress", das ich in Hannover nur aus Termingründen ablehnen musste, oder Alban Bergs „Wozzeck".

Interview: Dieter Stoll

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.