Bizarrer Prozess: Er ist Täter und Opfer

Brutale Bluttat in Nürnberger Obdachlosen-Heim: Weil Gärtner Jürgen S. einen Mitbewohner mit den Händen erwürgen wollte, wurde er von einem anderen Mann von hinten niedergestochen
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Marcus R. (24) wollte einem Kumpel helfen. Er wählte das falsche Mittel und steht jetzt selbst als Angeklagter vor Gericht.
bayernpress.com Marcus R. (24) wollte einem Kumpel helfen. Er wählte das falsche Mittel und steht jetzt selbst als Angeklagter vor Gericht.

Brutale Bluttat in Nürnberger Obdachlosen-Heim: Weil Gärtner Jürgen S. einen Mitbewohner mit den Händen erwürgen wollte, wurde er von einem anderen Mann von hinten niedergestochen

NÜRNBERG Was für eine bizarre Konstellation! In einem Prozess vor dem Nürnberger Schwurgericht spielt der gelernte Gärtner Jürgen S. (41) eine doppelte Rolle. Er ist gleichzeitig Täter und Opfer in einer Person...

Um die Wahrheit zu erkennen, muss das Schwurgericht vor allem den wabernden Schleier des Alkoholdunstes durchdringen, der die Gewalttat vom Mai letzten Jahres umweht. Die Aussagen aller damals direkt Beteiligten, die schon den ganzen Tag über gewaltige Mengen Alkohol in sich hineingegossen hatten, weisen deutliche Lücken auf und sind zur Aufklärung nur bedingt brauchbar.

Dass sich im vierten Stockwerk einer Obdachlosen-Wohngemeinschaft in der Holzgartenstraße dicke Luft zusammenbraut, ahnte Marcus R. (24) schon eine Stunde vor dem eigentlichen Gewaltausbruch. Sein Mitbewohner Jürgen S. neigt unter Alkoholeinfluss gern zu hochgradiger Aggression. Deshalb steckte sich Marcus R. sicherheitshalber ein 20 Zentimeter langes Messer in den Gürtel.

Mit dem Messer im Rücken lief der noch bis auf die Straße

Es kam, wie es kommen musste: Wegen einer Nichtigkeit, so ermittelten später Kripo und Staatsanwalt, geriet Jürgen S. mit einem weiteren Bewohner des Obdachlosenheims in Streit. Bevor der sich richtig besann, lag er auf dem Rücken – und Jürgen S. über ihm. Der Gärtner packte ihn laut Anklage am Hals und würgte ihn mit voller Kraft. „Er beabsichtigte, den Mann zu töten“, erklärte gestern der Staatsanwalt.

Marcus R., der verhindern wollte, dass der Mitbewohner zu Tode kam, rammte dem ausgerasteten Jürgen R., der seinem Kontrahenten noch immer die Luft abdrehte, das Küchenmesser von hinten in den Rücken. Mit dem Messer im Rücken lief der noch bis auf die Straße, ehe er bewusstlos zusammenbrach. Messerstecher Marcus R. fand es immerhin angebracht, in dieser Situation den Notdienst zu alarmieren. Schließlich retteten die Ärzte im Klinikum das Leben des Schwerverletzten.

Vor Gericht sind jetzt sowohl Jürgen S. als auch Marcus R. des versuchten Totschlags angeklagt. Jürgen S., weil er einen Obdachlosen erwürgen wollte – und Marcus R., weil er Jürgen S. deswegen erstechen wollte. Der Staatsanwalt vertritt nämlich die Ansicht, dass das Eingreifen von Marcus R. keine helfende Notwehrhandlung war. Der Staatsanwalt: „Der Messerstich von hinten, der leicht zum Tod hätte führen können, war nicht das einzige zur Verfügung stehende und Erfolg versprechende Mittel.“

Der irre Prozess geht Dienstag weiter.

Helmut Reister

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