Birkenstock am Grat und schwierige Telefonate: Das erlebt ein Bergwachtler rund um den Watzmann

Ramsau - Hinter der Wolkendecke, da ist er irgendwo: der Watzmann. Der Berg, der einer Sage nach ein grausamer König war, der versteinert wurde. Knapp 3000 Meter ist der Watzi hoch, seine Überschreitung ist eine der schwierigsten Touren in den Alpen. Auf beiden Seiten des Grats geht es über 1000 Höhenmeter nach unten. Da kann viel passieren, und das tut es.
Sogar eine Fernsehserie - Bergwacht Ramsau kann sich vor Presseanfragen kaum retten
An diesem Freitag im September, als die AZ zu Besuch ist, jedoch nicht. "Wenn schlechtes Wetter ist, dann ist meist nicht so viel los", sagt Michi Renner von der Bergwacht Ramsau im Gespräch in der Einsatzzentrale in der Rettungswache und schaut aus dem Fenster.
Einen Termin mit dem 39-Jährigen zu finden, war gar nicht so leicht. Presseanfragen hat die Bergwacht Ramsau zuhauf, scheint es. Renner ist dafür zuständig. Das Fernsehen dreht gerade eine Dokumentationsserie über die Bergwacht Ramsau. Das alles kommt noch zu den Einsätzen für Renner hinzu.
Ehrenamt neben Vollzeitjob und Familie
Die Bergwacht ist kein Job für ihn, er verdient dort auch kein Geld, sondern ist nur Ehrenamtler. Dafür ist der Betriebswirt in Vollzeit bei einer Firma im Projektmanagement angestellt, arbeitet meistens im Homeoffice. Abgesehen davon ist Renner verheiratet und Vater von zwei Kindern. Als ob man mit Vollzeitjob und Nachwuchs nicht schon genug ausgelastet wäre. Und privat auf den Berg gehen will er ja auch.
Ein Flachländer in der Ramsau
Dass man als gebürtiger Regensburger mal im Talkessel der Ramsau und dann auch noch in der verschworeren Gemeinschaft der Bergwacht landet, ist dann doch etwas ungewöhnlich.
Renner ist nach dem Abi bei der Bundeswehr hängen geblieben. Auf den Berg ging er schon immer gerne, und genau das konnte er bei den Gebirgsjägern ausleben. Er sattelte noch ein Studium drauf und schlug die Offizierslaufbahn ein. Dann kamen die Auslandseinsätze: Kosovo, Mali, "da war dann nicht so viel mit Berg", sagt Renner.
In der Ramsau wurde er schließlich heimisch und bewarb sich bei der Bergwacht. Denn Bergretter werden zwar immer gebraucht, aber sie müssen auch hohen Anforderungen genügen. So müssen Touren nachgewiesen werden, von Kletterpartien über Gletschertouren bis zu Überschreitungen. Nötig ist, dass man ein Allrounder ist und in allen Disziplinen einsetzbar ist. Wobei es dann weitere Fortbildungen gibt, etwa für Einsatzleiter, Canyoningrettung oder Krisenintervention.
Für Renner war das vergleichsweise einfach: "Ich habe einfach das eingereicht, was ich bei den Gebirgsjägern im vergangenen Jahr gemacht hatte."
Die Ausbildung ist aufwendig und hört auch nicht auf: Jedes Jahr müssen bestimmte Bausteine absolviert werden. Auch das in der Freizeit, neben Job und Familie.
"Bergwacht war für mich die beste Integration"
Ob er nicht als Flachländer von den Einheimischen im Berchtesgadener Land erst mal schräg angeschaut wurde? "Nein, das hat sich schnell gegeben", sagt Renner. "Die Bergwacht war für mich die beste Integration." Denn die Leute bei der Bergwacht würden alle ähnlich ticken. Obwohl sie aus ganz unterschiedlichen Milieus und Jobs kommen: "Da sind Ärzte genau wie Handwerker oder Informatiker."
Wie stark der Zusammenhalt ist, sieht man an einem Detail in dem Raum, in dem sich die Einsatzkräfte umziehen. Bei einem Kameraden stehen ein Foto und eine Kerze. Er ist heuer bei einem Arbeitsunfall gestorben.
Kein Grund, gleich Platz zu schaffen. "Das wird noch eine Zeitlang so bleiben", sagt Renner.
Bergretter bringen sich nicht selbst in Gefahr
Einerseits sind es die Herausforderung und der Sport, die die Bergwachtler zusammenschweißen. Andererseits müssen sie auch psychisch schwierigste Situationen meistern. Etwa vor zwei Jahren, als ein Student am Hochkalter bei Schneefall nicht mehr weiterkam. Die Bergwacht konnte aber nicht ausrücken zu ihm, das Wetter und die Bedingungen waren zu schlecht.
Denn eines machen die Retter nicht, obwohl es oft behauptet wird: Sie bringen sich selbst nicht in Lebensgefahr, um jemand anders zu retten.
Der junge Mann starb am Berg. Davor telefonierte er aber mit den Kameraden bei der Bergwacht, bis irgendwann der Kontakt abbrach.
Wie führt man ein Gespräch mit einem Menschen, der weiß, dass er stirbt? Wie spricht man mit jemandem, von dem man sich ziemlich sicher ist, dass er es nicht überlebt? Was hilft, um solche Situationen zu bewältigen, ist die Gemeinschaft.
Reden hilft schon ungemein
"Wir kommen nach vielen Einsätzen zusammen und sprechen", sagt Renner. Oft reiche es schon, wenn man denjenigen, der direkt bei der Person, die es zu versorgen galt, einfach mal frage, wie das so war und abgelaufen sei. "Und dann redet der und man hört zu", sagt Renner. Allein schon das helfe ungemein.
Für die Bereitschaftsdienste melden sich die Bergwachtler freiwillig. Mit der Arbeit kriegt er das halbwegs in Einklang, schaut, dass er nicht so viele Termine im Kalender habe. Denn eins ist auch klar: "Ich muss meine Ziele trotzdem erfüllen."
Wenn dann ein Einsatz komme, sei der Dienstplan aber nur für die rudimentäre Abwicklung ausreichend. Über eine App bekommen die Bergretter die Info und melden sich dann freiwillig für den Einsatz.
Geringe Pauschalen für die Einsätze
Wie viele Stunden er für die Bergwacht im Monat aktiv ist, kann Renner gar nicht sagen. Das sei auch unterschiedlich, etwa weil jemand grad Nachwuchs bekommen habe oder beruflich sehr eingespannt sei. Dass für ihn die Work-Life-Bergwacht-Balance nicht immer einfach ist, würde vermutlich auch seine Frau bestätigen, deutet Renner schmunzelnd an. Ein Teil seines Ehrenamts ist Öffentlichkeitsarbeit. Auch, um Spenden zu generieren. Denn die Bergwacht bekommt zwar für die Einsätze eine Pauschale von den Krankenkassen, ohne Einfluss auf deren Höhe zu haben.
Die höchste Pauschale liegt bei rund 1700 Euro. "Wenn wir mit zwölf oder 15 Stunden am Watzmann unterwegs sind, rechnet die Bergwacht Bayern insgesamt das ab und wir kriegen davon 20 bis 25 Prozent wieder." Die Kosten deckt das nicht. Daher ist die Bergwacht auf Spenden angewiesen, in Ramsau wurde extra ein Förderverein gegründet. Der Förderverein sei aber rechtlich streng getrennt, sagt Renner.
"Wir urteilen nicht"
"Es ist halt so, wie es ist", resümiert Renner. Und dann sind da noch so leichtsinnige Menschen, die mit schlechter Ausrüstung, Selbstüberschätzung und Leichtsinn abstürzen oder blockieren. Die Bergretter nehmen das so hin: "Wir retten und urteilen nicht." Zugleich nimmt Renner wahr, dass das Thema gerade in den Sozialen Medien sehr polarisiere.
"Wer in Birkenstock auf die Zugspitze geht - wenn alles gut geht, soll er das ruhig machen", sagt Renner. Schon Barfussläufer habe er am Watzmann gesehen, von Bergläufern in Trailrunningschuhen mal abgesehen. "Für uns ist das völlig wurscht, warum es zu einem Unfall kommt." Nur dass die Debatte darüber sehr hart geworden ist, das findet Renner auch.
Bei einem Einsatz gab es richtig Ärger mit der Frau
Wie die Kinder (3 und 5) das finden, dass der Papa öfters nicht da ist? "Solange die noch, Bergwacht' spielen, ist alles in Ordnung", sagt Renner. Das Verständnis seiner Frau nehme in der Hochsaison dann schon mal ein bisschen ab.
Nur einmal gab es richtig Ärger. Als er bei Nebel bei einem Einsatz im Steinernen Meer war und sie hochschwanger war und das Baby hätte kommen können. "Da hätte es auch sein können, dass ich erst am nächsten Tag wieder zurück bin", sagt Renner und lacht. Ist ja noch mal gutgegangen.
Der Förderverein der Bergrettung Ramsau e.V. nimmt Spenden unter Kontonummer DE97 7105 0000 0020 6630 92 an.