Besuch hinterm Tellerrand

NÜRNBERG - Andrea Maria Erl, künstlerische Leiterin von „panoptikum“, vorm Start des 6. Nürnberger Festivals über Programm-Trends und Auswirkungen der Krise.
Manchmal gibt es an Geburtstagen äußerst erfreuliche Geschenke: Als Nürnberg 2000 sein 950. Jubiläum feierte, ging das erste Panoptikum-Festival an den Start. Der Erfolg wurde nachhaltig als zweijährliche Veranstaltung festgeklopft. Vom 9. bis 14. Februar geht das internationale Treffen für Kinder- und Jugendtheater in seine sechste Runde. Andrea Maria Erl, Chefin des Theaters Mummpitz, ist zugleich künstlerische Leiterin des Festivals.
AZ: Frau Erl, ein eigenes Kinder- und Jugendtheater-Festival — braucht’s das?
ANDREA MARIA ERL: Ja — der Entstehungsgrund für Panoptikum wird permanent bestätigt. Nürnberg hat eine sehr reiche, hochqualifizierte und geschätzte Kinder- und Jugendtheaterszene. Da muss man auch über den Tellerrand gucken können — mit der Erkenntnis, dass sich die Nürnberger im internationalen Vergleich nicht verstecken müssen. Auch Kinder leben nicht mehr in ihrer kleinen Kammer, sondern vergleichen.
Profitiert die Nürnberger Szene über den Vergleich hinaus nachhaltig vom Festival?
Ich denke schon: Viele Veranstalter aus dem In- und Ausland verschaffen sich bei uns eine Übersicht, zum Beispiel der landesweite Veranstalterring ONDA aus Frankreich, der dabei nur der Qualität verpflichtet ist. Aber wir werden auch über den Tellerrand hinausgereicht: Die Einladungen von Salz & Pfeffer nach Indien, von Thalias Kompagnons nach Frankreich und von Mummpitz nach Edinburgh sprechen für sich.
Figuren, Objekte, andere Medien — der Programm-Trend geht weg vom reinen Schauspielertheater. Warum?
Uns ist es wichtig, die Vielfalt der theatralen Möglichkeiten abzubilden, genreübergreifendes Theater zu zeigen. Am Anfang fahren wir los und schauen, was uns gefällt. Die letztliche Auswahl aber hängt auch davon ab, wer kommen kann. Es wird schwieriger, Produktionen einzuladen.
Eine Folge der Krise?
Ich mag den Begriff nicht. Es gibt eine Szene, die etabliert ist. Die ist sehr gefragt, und die wollen wir auch. Diese Gruppen arbeiten oft anders, setzen sich immer wieder neu zusammen, da muss man sehr früh anfragen. Aber es gibt tatsächlich einen Trend zu Schließungen, gerade in etablierten Ländern wie Schweden, einst das große Vorbild im Kinder- und Jugendtheaterbereich. Da werden große Theater zugemacht, in Frankreich wird noch weniger produziert, dafür mehr eingekauft, italienische Gruppen spielen oft nur noch im Ausland, weil sie daheim kein Geld mehr bekommen. Da zeichnen sich ähnliche Tendenzen ab wie in der restlichen europäischen Theaterwelt.
Wie fest steckt das Klischee vom Theater nur für die Kleinen noch in den Köpfen?
Die Klischees gibt’s noch, aber in Nürnberg sind wir da sehr weit. Dennoch gibt es selbst Künstler und Künstlerinnen aus dem Nürnberger Raum, die nicht ins Kinder- und Jugendtheater gehen, weil sie denken, dass sie dazu zu alt sind. Wenn sie dann doch mal wegen ihrer Kinder reingehen, kommt die überraschte Reaktion: Das war aber gut!
Können Sie da seit 2000 einen Erziehungseffekt beobachten?
Ja, das ist eine kontinuierliche Entwicklung. Mittlerweile warten die Leute schon auf das Festival, fragen nach. Einige haben noch Jahre später eine bestimmte Inszenierung im Kopf, die sie besonders beeindruckt hat.
Ist Panoptikum mittlerweile ein Selbstläufer?
Das Problem ist: Alle denken, dass wir ohnehin ausverkauft sind. Das stimmt nicht: Noch kann ich alle einladen, insbesondere die Schulen.
Interview: Georg Kasch