Berufsverbot und Zwangsarbeit

Nach dem Krieg musste Gustav Schickedanz im Reichswald Bäume fällen. Seine Frau Grete verdiente das Geld für die Familie.
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Der Quelle-Chef genießt sein privates Glück: Gustav Schickedanz 1944 mit seiner eineinhalb Jahre alten Tochter Madeleine.
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Gustav Schickedanz mit seiner Frau Grete (rechts), damals 34, und seiner Tochter Louise (20) aus erster Ehe..
abendzeitung 3 Gustav Schickedanz mit seiner Frau Grete (rechts), damals 34, und seiner Tochter Louise (20) aus erster Ehe..
Hersbruck: Bei dem Parkschild auf der linken Straßenseite (Bildmitte) befand sich der Laden von Grete Schickedanz.
abendzeitung 3 Hersbruck: Bei dem Parkschild auf der linken Straßenseite (Bildmitte) befand sich der Laden von Grete Schickedanz.

Nach dem Krieg musste Gustav Schickedanz im Reichswald Bäume fällen. Seine Frau Grete verdiente das Geld für die Familie.

NÜRNBERG/FÜRTH Der 20. April 1945, Adolf Hitlers 56. und letzter Geburtstag. Die US-Generäle Patch und Haislip lassen ihre Truppen am Nürnberger Hauptmarkt zur Siegesparade antreten. Das Areal – es heißt immer noch Adolf-Hitler-Platz – und die geschleifte Stadt der Reichsparteitage dienen als symbolträchtige Kulisse – hinter den Soldaten ragen zerbombte Kirchtürme in den blauen Frühlingshimmel, Mauerreste, riesige Schuttberge. In der Nürnberger Altstadt gibt es kaum mehr eine Spur von Leben.

Einen Tag vor der Siegesfeier in Nürnberg, am 19. April, besetzen die Amerikaner die nicht ganz so mitgenommene, einigermaßen heil gebliebene Nachbarstadt. Doch die Quelle-Zentrale in Fürth hatte die Bombenangriffe nicht überstanden. Was von dem Gebäude in der Artilleriestraße noch übrig geblieben war, wurde in den letzten Tagen des Nazi-Regimes in Brand gesetzt und geplündert.

Konzern wurde der Militärverwaltung unterstellt

Am 7. und 8. Mai unterzeichnete Großadmiral Karl Dönitz die Kapitulation des Hitler-Staates. Am 15. Mai diktierte Gustav Schickedanz, vorläufig zum letzten Mal als Firmen-Chef, in einem Notbüro in der Königswarterstraße ein Rundschreiben an die Belegschaft: „Sehr geehrtes Fräulein, Durch die Kriegsfolgen, vor allem durch die Plünderung meiner Warenvorräte und durch die Besetzung meines Betriebsgebäudes ist die Fortführung meines Geschäftsbetriebes infolge höherer Gewalt unmöglich gemacht. Ob und wann später eine Betriebsaufnahme wieder möglich sein wird, ist heute nicht abzusehen . . .“ Das Arbeitsverhältnis gilt „mit dem Eintritt der Ereignisse vom 20. April . . . gemäß § 70 HGB mit sofortiger Wirkung als gelöst.“

Am Ende des Briefes hatte der Konzern-Chef ohne Konzern noch seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass der Wiederaufbau der „Quelle“ vielleicht nicht lange auf sich warten lassen würde. Er hatte die Lage falsch eingeschätzt. NSDAP-Mitglied, Stadtrat, der größte Unternehmer der Stadt – die Kombination werteten die Amerikaner nicht mehr als bloßes Mitläufertum. Die Villa in Dambach wurde besetzt, der Gesamtkonzern kam unter Militärverwaltung,

Gustav Schickedanz wurde mit Berufsverbot belegt und zur Zwangsarbeit verpflichtet – mit Hunderten von anderen ehemaligen Parteigenossen musste er im Reichswald Bäume fällen, Holz hacken, Wurzelstöcke aus der Erde ziehen. Auch das einstige Wochenendhaus am Michelsberg in Hersbruck, wo die Schickedanz-Familie mit ihrer zweijährigen Tochter Madeleine Schutz vor den Fliegerangriffen gesucht hatte, war inzwischen von den Amerikanern beschlagnahmt.

Alte Kontakte als unschätzbares Kapital für den Neustart

Wieder einmal war es Grete Schickedanz, die von Resignation nichts wissen wollte. Sie organisierte die Not, milderte den tiefen Fall ihres Mannes, werkelte schon am Fundament für einen neuen Aufstieg. Sie nutzte ihre Beziehungen zu früheren Quelle-Lieferanten, versprach eine Notversorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Waren und durfte im Gegenzug in Hersbruck einen kleinen Laden aufmachen.

Mit einem einigermaßen fahrtüchtigen Vorkriegs-Lastwagen beschaffte Grete Schickedanz Hemden, Hosen, Unterwäsche – die Hersbrucker rissen es ihr im Laden förmlich aus den Händen. Und als die Amerikaner im Oktober 1946, nach einer Anzeige, den erfolgreichen Wäschehandel verboten – da half ein inzwischen schon arrivierter und bei den US-Behörden anerkannter Politiker.

Ludwig Erhard fuhr mit der Textilhändlerin nach München und verschaffte ihr eine Audienz beim obersten Kontroll-Offizier für Eigentumsfragen in Bayern. Nach einer Woche durfte Grete Schickedanz ihr Geschäft in Hersbruck wieder öffnen.

Gustav Schickedanz musste auf seine Rehabilitierung, aufseinen Start in ein neues Leben noch fast drei Jahre warten. Kurz nach der Währungsreform – am 20. Juni 1948 wurde die D-Mark eingeführt – hoben die Amerikaner sein Berufsverbot auf. Im April1949 saß Gustav Schickedanz wieder am Schreibtisch im notdürftig möblierten Quelle- Büro an der Fürther Freiheit.

Es gab neues Geld, es gab die alten Kunden, es gab einen Wirtschaftminister aus Fürth, der auch schon einmal einen Großhandel mit Wäsche und Kurzwaren betrieben hatte – Ludwig Erhard. Und es gab, wie durch ein Wunder, wieder Ware. Das Wunder hatte an der Fürther Freiheit einen Namen.

Quelle-Historiker Theo Reubel-Ciani: „Die von Grete Schickedanz nach 1946 aufrecht erhaltenen und neu geknüpften Lieferanten- und Produzentenkontakte erwiesen sich nun als unschätzbares Startkapital.“

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