Bernd Sibler im Interview: Spaenle-Rauswurf hat mich sehr überrascht

München - Die AZ hat mit Bernd Sibler gesprochen. Der Niederbayer (47, CSU) war vor seiner Ernennung Gymnasiallehrer und Staatssekretär im Bildungsministerium.
AZ: Herr Sibler, bis kurz vor der Vereidigung des neuen Kabinetts war außer Gerüchten wenig bekannt. Wann haben Sie von Ihrer Berufung zum Minister erfahren?
BERND SIBLER: Am Dienstagmittag hieß es, ich solle in die Staatskanzlei kommen. Am Abend war ich dort. Der Ministerpräsident hat mich ins Vertrauen gezogen. Dann galt es zu warten bis Mittwochmittag. Am Vormittag war ich noch beim Joggen und bei einem Bibliothekstermin in Traunstein. Also: Die Arbeit ging weiter.
Das Kultusministerium wurde wieder geteilt. Wie sieht die Aufgabenteilung zwischen Ihnen und Marion Kiechle aus?
Das ist nun wieder die klassische Struktur wie schon vor 2013. Der komplette Bildungsbereich liegt bei mir, dazu gehören auch die Gedenkstättenarbeit, die Landeszentrale für politische Bildung, das Institut für Schulqualität und Bildungsforschung, die Lehrerfortbildungsstätte in Dillingen oder die Stiftung Bildungspakt – andere Themen wie Wissenschaft, Forschung, Kunst liegen bei der Kollegin Professor Kiechle.
Bernd Sibler: "Wir haben in zu kurzer Zeit viel verändert. Da muss man ehrlich sein"
Ist die Teilung ihrer Meinung nach sinnvoll?
Im Grunde meines Herzens stünde ich für ein gemeinsames Haus, weil es viele Querschnittsaufgaben gibt. Auf der anderen Seite sind die Themenbereiche so groß und umfassend, dass die Aufteilung sinnvoll ist. Es gilt, viel an den Schulen zu sein und zuzuhören. Dafür ist jetzt der nötige Raum gegeben.
Sie waren lange Staatssekretär unter Minister Ludwig Spaenle. Wie überrascht waren Sie von seinem Rauswurf?
Ich war sehr überrascht und hatte damit nicht gerechnet. Eine Teilung des Hauses stand im Raum, aber ich habe erwartet, dass er als Minister in einem Bereich im Amt bleiben würde. (Lesen Sie dazu auch: Wird Spaenle jetzt Oberbürgermeister von München?)
Ein Problem an den Schulen ist der Unterrichtsausfall. Was werden sie tun, um die Unterrichtsversorgung flächendeckend sicherzustellen?
Das ist für uns ein zentrales Thema, das wir weiter angehen. Wir haben in den vergangenen Jahren zusätzliche Stellen geschaffen. Wir mussten die sogenannte demografische Rendite nicht abgeben. Das heißt, seit einigen Jahren hätten wir zum Teil 1.000 Lehrer pro Jahr wegen des damals erwarteten Schülerrückgangs abgeben müssen. Diese aber konnten wir behalten und für die Unterrichtsversorgung, die Inklusion und das Ganztagsangebot einsetzten. Daneben haben wir in den letzten Jahren 5.000 Stellen zusätzlich schaffen können. Ergebnisse sieht man an der Lehrer-Schüler-Relation: Diese ist deutlich zurückgegangen. Und auch die Klassengrößen gehen im Schnitt zurück. Aber es reicht nie, auch weil der Wunsch aus der Bevölkerung nach mehr Lehrern da ist. Wir werden an dieser Schraube weiterdrehen.
Das Gymnasium hat den Wechsel vom G9 zum G8 und zurück hinter sich. Wie wollen Sie jetzt Ruhe hineinbringen?
Durch die Leitentscheidung für neun Jahre haben wir schon viel Ruhe in unsere Schulfamilie getragen. Die Entscheidung stößt auf hohe Akzeptanz. Es ist ja auch das Hochschulabsolventenalter wieder deutlich zurückgegangen im Vergleich zum Jahr 2003, denn es hat auch an den Hochschulen Veränderungen gegeben, Stichwort Bolognaprozess.
Gynäkologin, Professorin, Ministerin: Das ist Marion Kiechle
Braucht es wirklich neun Jahre Gymnasium oder hätte man das G8 nicht besser organisieren können?
Ich habe selbst an dieser Schnittstelle gearbeitet und den Lehrplan zweimal intensiv überarbeitet. Wir haben viel verändert, aber in zu kurzer Zeit, so dass Unruhe in der Bildungslandschaft entstanden ist – so ehrlich muss man sein. Aber angesichts der strukturellen Veränderungen, die ich genannt habe, ist es gut, dieses eine Jahr dazuzugeben. Dass dies den Bildungsprozessen und der Reife unserer Schülerinnen und Schüler gut tut, ist nicht von der Hand zu weisen.
Die Übertrittsquote ans Gymnasium steigt stetig. In der Region fehlen aber Handwerker und Facharbeiter. Wie wollen Sie gegensteuern?
Bayernweit sind die Übertrittsquoten stabil. Natürlich gibt es regionale Unterschiede. Gerade an der Mittelschule hatten wir aber eine Stabilisierung. Ihr Erhalt war eine zentrale Leistung der bayerischen Schulpolitik der letzten Jahre. Andere Länder haben diese Schulart vor allem mit der Realschule zusammengelegt. Wir haben über die vertiefte berufliche Orientierung ein Alleinstellungsmerkmal für die Mittelschule geschaffen. Dass nach einer Zusammenlegung zweier Schularten das Leistungsniveau in der Regel eher nach unten geht, führen Experten auf die Zusammenlegung zurück.

Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund nimmt zu. Wie sollen die Schulen mit solchen Entwicklungen umgehen?
Wir werden die vielfältigen Unterstützungsangebote im Blick behalten. Wir haben insbesondere die Deutschförderung aufgebaut und vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle noch einmal rund 2.000 zusätzliche Planstellen geschaffen. Denn ich bin überzeugt: Sprache ist der Schlüssel zur Integration, schafft Heimat und Identität. Besonders die Berufsschulen leisten nach dem Motto "Forderns und Fördern" ganz engagierte Arbeit.
Was sagen Sie besorgten Eltern, die befürchten, die Bildung ihrer Kinder könne zu kurz kommen?
Ich verstehe diese Sorge. Natürlich behalten wir das im Auge und tun viel dafür, dass niemand unter der Situation leiden muss. Denn wir sehen schon: Wenn das Gleichgewicht nicht mehr stimmen würde, gäbe es Fluchtbewegungen hin zu privaten Schulen.
Bernd Sibler: "Wir wollen Persönlichkeiten, kein Humankapital"
Das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, dem Sie als beurlaubter Lehrer zugeordnet sind, gilt als Musterbeispiel für die Schule ohne Kreide. Wie soll dieses Vorbild auf ganz Bayern übertragen werden?
Digitalisierung ist ein weiteres zentrales und wichtiges Thema für mich als Kultusminister. Wir haben 162 Millionen Euro zusätzlich dafür im Haushalt beschlossen, 100 Millionen Euro davon für den Ausbau des digitalen Klassenzimmers. Die Förderrichtlinien werden bald stehen. Aber klar ist: Die Technik dient der Pädagogik. Die Pädagogik steht klar im Vordergrund.
Sie werben für die Vermittlung von Digital-und Medienkompetenz. Soll dies nun ein eigenes Schulfach werden?
Informatik wird an allen Schularten gestärkt. Wichtig ist mir, dass auch hier nicht nur die technische Kompetenz im Zentrum steht, sondern dass auch ein Verständnis für die Medienwirkung vermittelt wird. Das kann man auch in Deutsch oder Religion gut vermitteln. Wir werden auch das Thema Demokratieerziehung stärken. Es geht eben nicht allein um die Vermittlung von Wissen und Können, sondern um die Bildung von Herz und Charakter. Wir wollen Persönlichkeiten, kein funktionstüchtiges Humankapital.