Bergwacht mit Einsatzrekord: Jetzt bloß kein zweites Ischgl

Handy, E-Bike, Heli-Rettung: Technischer Fortschritt hat die Berge immer mehr erschlossen, Outdoor ist en vogue. Das bekommen auch die Helfer der Bergwacht zu spüren - die in ihren Anfängen eigentlich eine ganz andere Aufgabe wahrnehmen sollten.
dpa, AZ |
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Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags, steht im Ausbildungszentrum der Bergwacht vor einem Hubschraubersimulator.
Sven Hoppe/dpa 2 Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags, steht im Ausbildungszentrum der Bergwacht vor einem Hubschraubersimulator.
Mitglieder der Bergwacht demonstrieren im Ausbildungszentrum der Bergwacht in Bad Tölz eine Rettungssituation mit einem Hubschraubersimulator.
Sven Hoppe/dpa 2 Mitglieder der Bergwacht demonstrieren im Ausbildungszentrum der Bergwacht in Bad Tölz eine Rettungssituation mit einem Hubschraubersimulator.

München - Fast 9.000 Mal ist die Bergwacht Bayern im vergangenen Jahr ausgerückt, knapp 350 Mal häufiger als im Vorjahr. Wandern, Mountainbiken, Skitouren und Klettern boomen. Und die Sorglosigkeit nimmt zu. Seit 100 Jahren sind die ehrenamtlichen Bergwachthelfer unterwegs - die Einsatzzahlen steigen seit Jahren.

Das Handy vermittelt trügerische Sicherheit, bunte Instagram-Bilder lassen die Natur gefahrlos erscheinen. Zwei Fälle aus dem Herbst im Berchtesgadener Land: Mal musste die Bergwacht bei Ramsau Kletterer retten, die bei Schneefall und Dunkelheit in einer Wand hingen. Ein andermal holte sie zwei Touristen aus Asien ins Tal, die mit riesigen 40-Kilo-Rucksäcken unterwegs waren, ihr GPS nicht bedienen konnten und vom Weg abgekommen waren.

Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags, steht im Ausbildungszentrum der Bergwacht vor einem Hubschraubersimulator.
Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags, steht im Ausbildungszentrum der Bergwacht vor einem Hubschraubersimulator. © Sven Hoppe/dpa

Bergwacht sollte ursprünlich auf Einhaltung der Ordnung achten

In ihren Anfängen vor 100 Jahren waren die Ehrenamtlichen der Bergwacht allerdings vorwiegend unterwegs, um auf die Einhaltung der Ordnung zu achten. Am 14. Juni 1920 gründeten im Münchner Hofbräuhaus Vertreter von Alpenvereinssektionen und Wandervereinen eine "Natur- und Sittenwacht". Der Verein verfolge den Zweck, "die Verletzung der guten Sitten und die Missachtung fremden Eigentums" sowie "jegliche Auswüchse sonstiger Art" zu bekämpfen, hieß es in der Satzung.

Die Zunahme von Tourismus und Alpinismus belastete schon damals die Natur. Die Massen strömten auf der Suche nach Erholung und Abwechslung in die Berge. In den Zügen dorthin wie auch auf Hütten wurde ausschweifend gefeiert.

Der Verein wolle nun zeigen, dass für "Naturschänder und vergnügungssüchtige oder politische Hitzköpfe in den Bergen kein Platz ist", hieß es in der dritten Ausgabe der Zeitschrift "Bergkamerad" von 1924. Der Schutz von Sitten und Natur geriet dennoch bald in den Hintergrund, die Rettung verunglückter Bergsteiger wurde zur Hauptaufgabe.

Mitglieder der Bergwacht demonstrieren im Ausbildungszentrum der Bergwacht in Bad Tölz eine Rettungssituation mit einem Hubschraubersimulator.
Mitglieder der Bergwacht demonstrieren im Ausbildungszentrum der Bergwacht in Bad Tölz eine Rettungssituation mit einem Hubschraubersimulator. © Sven Hoppe/dpa

Bergwacht: Handy hat die Alarmierung revolutioniert

Auch in anderen Bundesländern gründeten sich Bergwachten, vor allem in Sachsen gab es schon früh eine Bergwacht. Waren die Retter in der Anfangszeit zu Fuß und mit Schlitten unterwegs, so erleichtert heute der Helikopter die Rettung; Drohnen unterstützen die Helfer bei der Einschätzung der Lage. Oft dauerte es früher viele Stunden, bis die Retter überhaupt alarmiert werden konnten - zuerst musste jemand es zu Fuß ins Tal schaffen, um Hilfe zu holen.

Das Handy hat die Alarmierung revolutioniert, aber auch zu mehr Sorglosigkeit geführt. Mancher verlässt sich darauf, dass ein Anruf genügt, um aus einer schwierigen Situation geholt zu werden. So nimmt die Zahl der Einsätze zu, bei denen sich niemand verletzt hat, sondern Menschen einfach nicht weiterkönnen, etwa weil sie sich überschätzt haben. Von 2015 bis 2019 hat sich die Zahl der Einsätze ohne Verletzte von 226 auf 439 fast verdoppelt.

"Die Erwartungshaltung für schnelle Hilfe in allen Lagen erfordert einen erhöhten Aufwand an Personal und Material, insbesondere an den "Hotspots"", sagt Bergwacht-Sprecher Roland Ampenberger. Dies seien vor allem markante und prestigeträchtige Ziele. Etwa auf dem Weg zum Watzmannhaus mussten im vergangenen Jahr Wanderer gerettet werden, die bei miesem Wetter, großer Lawinengefahr und viel Neuschnee ohne Ski oder Schneeschuhe erschöpft steckenblieben.

Ilse Aigner warnt: Bayern will kein zweites Ischgl werden

Gut 5.200 Ehrenamtliche engagieren sich laut dem Vorsitzenden Otto Möslang in der Bergwacht Bayern. Sie helfen auch bei Höhlenrettungen oder bei Katastrophen wie nach den immensen Schneefällen Anfang 2019.

In diesem Sommer dürfte auf die Helfer eine besondere Aufgabe zukommen: Viele Menschen werden wegen der Corona-Krise im Lande bleiben - und dabei Erholung in den heimischen Bergen suchen. Allein über die Pfingsttage rückte die Bergwacht Bayern rund 120 Mal aus. Gleich zwei Mal verstiegen sich Bergsteiger am Hohen Göll bei Berchtesgaden und landeten im steilen Altschnee. Nebel behinderte den Helikopter, die Retter waren stundenlang im Einsatz.

"Helfen wir alle, damit ehrenamtliche Retter nicht an ihre Grenzen stoßen", mahnte kürzlich Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU). "Diese Ferien fordern uns alle heraus" Und: "Wir wollen kein zweites Ischgl werden." Nicht zuletzt: Abstand halten ist auch am Berg Gebot.

Lesen Sie hier: Nationalpark Berchtesgaden wehrt sich gegen Instagram-Poser

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