Berg-Drama im Karwendel: Vater will Sohn retten - und stirbt

INNSBRUCK - Sie waren im Urlaub, wollten unbeschwerte Tage in der Natur genießen. Doch dann schlug das Schicksal brutal zu. Nach einem Blitzschlag auf dem Mittenwalder Höhenweg fiel ein elfjähriger Junge einen Hang hinab, konnte sich an einem Baum festhalten. Sein Vater wollte ihn retten - doch er stürzte 150 Meter in die Tiefe.
Papa ist runtergefallen. Tot. Jetzt ist Philipp allein, sein Unterschenkel ist zerrissen und voller Blut. Der Elfjährige liegt am Boden, oben im Karwendel auf dem Mittenwalder Höhensteig, mitten in den Latschenkiefern. Über ihn ziehen Wolken auf, die Nacht bricht an. Es ist 21 Uhr. Philipp hat Angst, zu sterben.
Sein Vater Klaus M. (46), ist am Montagnachmittag gegen 15 Uhr südlich der Kirchl-Spitze über Scharnitz 150 Meter in die Tiefe gestürzt. Der Leimener und sein Sohn stiegen einen steilen Klettersteig hinab zur Brunnsteinhütte und gelangten auf einen Grat, als plötzlich der Blitz einschlug. Vater und Sohn waren benommen, Philipp verlor das Gleichgewicht und fiel den steilen Hang hinunter, konnte sich aber vor dem Abgrund an Latschenkieferzweigen festhalten. Als Klaus M. seinem Sohn helfen wollte, stürzte er selbst in die Tiefe. Er starb in den Felsen des Brunnsteinkars.
Sechs Stunden Warten auf die Retter
Da begann das Martyrium des kleinen Philipps. Sechs Stunden lang robbte er mit Rückenverletzungen und der offenen Wunde durch die glitschigen Kiefern. Sechs Stunden lang wartete er auf seine Retter von der Mittenwalder Bergwacht. Die wurde um 17:50 Uhr vom Brunnsteinhüttenwirt Hans-Peter Gallenberger alarmiert. Bergsteiger hatten Schreie gehört. Sie stiegen zur Hütte hinab und sagten zu Gallenberger: "Ein Mann ist hinunter gefallen." Vom Elfjährigen wussten sie nichts. Zwei Bergwachtler flogen mit dem ADAC-Hubschrauber zum Toten und bargen ihn.
„Neben der Leiche fanden sie einen zweiten Rucksack", sagt Bereitschaftsleiter Heinz Pfeffer der AZ. „Das kam ihnen spanisch vor, sie stiegen also hoch zum Grat, von dem der Mann gestürzt war." Heinz Pfeffer nimmt an, dass Philipp gegen 21 Uhr das Klappern der Karabiner hörte. Er schrie um Hilfe, endlich hatten sie ihn gefunden.
„Er fragte immerzu nach seinem Papa", erzäht Hans-Peter Gallenberger. 200 Meter oberhalb der Hütte hievte der Helikopter Philipp hinauf. Er liegt in der Murnauer Klinik, laut Polizei geht es ihm gut. Körperlich, jedenfalls.
Thomas Gautier