„Bei uns geht die Angst um“
Noch schweigen die Mitarbeiter – aus Furcht: Nürnbergs Siemensianer bangen um ihre Stellen. Wen es treffen wird, ist noch ungewiss. Derweil rüstet sich die Gewerkschaft.
NÜRNBERG/ERLANGEN Wenigstens hatte er den Anstand, die Hiobsbotschaft persönlich zu überbringen: Gestern Abend verkündete Siemens-Vorstandschef Peter Löscher in Erlangen Zahlen, die Menschenleben verändern: 16 750 Arbeitsplätze sollen bis 2010 weg, 5250 davon in Deutschland, 1290 in Erlangen, 560 in Nürnberg, 90 in Fürth.
„Der Anspruch ist schlanke Verwaltungen in einem wachsenden Unternehmen“, sagte er. Personalvorstand Siegfried Russwurm sprach es aus: „Betriebsbedingte Kündigungen können wir nicht ausschließen.“ Mit dem Abbau, weniger Berater-Honoraren und Einschnitten bei den Sachausgaben will Löscher 1,2 Milliarden Euro einsparen.
Siemens geht’s gut, doch der Konzern hat dicke Belastungen zu verdauen: Bisher 1,8 Milliarden Euro an Straf- und Steuernachzahlungen sowie Beratungskosten wegen der Schmiergeldaffäre, dazu heuer besondere Belastungen – unter anderem wegen schlampig geführter Projekte – in Höhe von fast 900 Millionen Euro. Löscher denkt mit Sorge an 2009, wenn die Konjunktur wieder abflauen wird.
„Wir machen 16 Prozent Rendite – reicht das nicht mehr?!",
Gründe, die die Siemensianer empören: „Wir machen 16 Prozent Rendite – reicht das nicht mehr?!", wetterte der Erlanger Betriebsbsrat Wolfgang Fees. Sein Nürnberger Kollege Horst Hengelein prognostiziert: „Wenn Stellen abgebaut werden, wird auch Leistung abgebaut.“ Nachdem sie auch die Korruptionsaffäre um die AUB gemeinsam mit der Konzern-Leitung ausgestanden haben, sind die Gewerkschaftler jetzt mehr als enttäuscht.
Nur wenige Beschäftigte am Werk Nürnberg-Humboldstraße wollten gestern die Vorgänge kommentieren: vor allem jene nicht, die vom Abbau direkt betroffen sein könnten – einen Blauen Brief hat noch keiner erhalten. „Bei uns geht die Angst um“, sagte eine Verwaltungsangestellte: „Wenn morgen mein Bild in der Zeitung ist, bin ich vielleicht die erste, der gekündigt wird.“
Mancherorts droht gar die Nulldiät
Die Arbeiter vom Band müssen dieser Tage zwar nicht um ihre Jobs fürchten – die Siemens-Produktion läuft auf Hochtouren – aber „die Stimmung ist nicht gut“, berichtet CNC-Dreher Sebastian Porada: „Bei uns wurden erst vier neue Leute eingestellt“, – „über eine Zeitarbeitsfirma“ allerdings. Kollege Werner Hofmann kennt Mitarbeiter, die seit zehn Jahren ohne Festanstellung beschäftigt sind. Siemens spart an allen Ecken und Kanten.
Mancherorts droht sogar die Nulldiät. Werksschließungen in der Verkehrstechnik-Division Mobility, unter anderem gebeutelt durch das Debakel mit den fehlerhaften Combino-Straßenbahnen, sind kein Ding der Unmöglichkeit. Löscher spricht von „strukturellen Schwächen“, davon, dass „der Zuschnitt des Geschäfts zu verändern“ sei. Im Klartext heißt das: Von den weltweit 25000 Stellen fallen 4150 weg, davon 1750 in Deutschland. Auch die Arbeiter im Erlanger Werk könnte es treffen. Immerhin: Von einem Verkauf der Division, über den immer wieder spekuliert wurde, ist keine Rede, sie habe „fantastische Wachstumschancen“, so Löscher.
Das Tochter-Unternehmen Segment Industrie Montage Services (SIMS) soll verkauft werden
Da sieht es bei der Dienstleistungstochter Segment Industrie Montage Services (SIMS) mit ihren 1200 Mitarbeitern anders aus. Die Firma soll verkauft werden. Sie arbeitet nur in Deutschland – uninteressant für die Siemens-Chefs, die nur noch international denken wollen.
Unklar auch, ob die Stellenstreichungen quer durch die anderen Konzernteile mehr Führungskräfte oder einfache Beschäftigte treffen werden. Löscher hatte von einer „Lehmschicht“ im mittleren Management gesprochen und davon, dass nicht immer nur die Arbeiter bluten dürften. Gestern ruderte er zurück: Wieviel außertarifliche und wieviel einfache Beschäftigte betroffen seien, könne man nicht sagen.
Schon in den nächsten Tagen könnte Licht ins Dunkel kommen: Heute tagt der Siemens-Wirtschaftsausschuss, auch die Gewerkschaft IG Metall rüstet sich: „Wir werden reagieren“, sagt Betriebsrat Hengelein.sun/StW