Bayerns SPD-Chefin und -Spitzenkandidatin Natascha Kohnen im AZ-Interview

Bayerns SPD-Chefin und -Spitzenkandidatin Natascha Kohnen über den angespannten Immobilienmarkt im Freistaat, eine "unsägliche Bemerkung" – sowie das Jodeln.
von  Natalie Kettinger
Natascha Kohnen am Samstag beim außerordentlichen Parteitag der Bayern-SPD im kleinen Olympiastadion vor einem Porträt von sich selbst.
Natascha Kohnen am Samstag beim außerordentlichen Parteitag der Bayern-SPD im kleinen Olympiastadion vor einem Porträt von sich selbst. © Lino Mirgeler/dpa

München - Die Münchnerin Natascha Kohnen ist Chefin der Bayern-SPD und stellvertretende Bundesvorsitzende. Die 5-Jährige wurde am Wochenende mit 94,8 Prozent zur SPD- Spitzenkandidatin für die Landstagswahl in Bayern gekürt.

AZ: Frau Kohnen, Ihr Nockherberg-Double hat gejodelt, um bekannter zu werden. Können Sie das auch?
NATASCHA KOHNEN: Das ist die Frage, die mir im Moment am meisten gestellt wird – ob in der U-Bahn, in Cafés oder auf der Straße. Nein. Ich kann nicht jodeln. Aber ich habe schon Angebote, es zu lernen.

Und? Nehmen Sie an?
Ja, ich treffe mich demnächst mit Freunden, die jodeln können und gesagt haben: Zeit wird's.

Seit dem Wochenende sind Sie SPD-Spitzenkandidatin für die bayerische Landtagswahl. Ist das eher eine ehrenvolle oder eine undankbare Aufgabe?
Ehrenvoll! Sehr sogar! Aber ich weiß auch, dass es eine Riesen-Herausforderung ist, dass eine große Aufgabe auf mich wartet.

Welches Ziel streben Sie am 14. Oktober an?
Ich will mit unseren Themen nach vorne kommen. In sehr vielen Gegenden Bayerns, insbesondere in München, treibt sehr viele Menschen die Angst um, ob sie sich ihr Dach über dem Kopf noch leisten können. Deswegen ist für mich das Thema Nummer 1: Wohnen, Wohnen, Wohnen. Das müssen wir in den Griff kriegen. Genauso wie die Angst vor der Arbeitswelt von morgen: Was passiert da? Kommen da Maschinen, die mich ersetzen?

Kohnen: "Brauchen ein Weiterbildungsgesetz in Bayern"

Wie wollen Sie den Menschen diese Furcht nehmen?
Durch Bildung. Macht die Leute fit im Kopf, dann muss auch niemand Angst vor der Zukunft haben! Deshalb brauchen wir ein Weiterbildungsgesetz in Bayern. Hinzu kommen die Themen Familie – dass man Familie und Job unter einen Hut bekommt – und Kinderarmut: Wir haben in unserem reichen Land 245.000 Kinder, die von Armut bedroht sind.

Der zukünftige Gesundheitsminister, Jens Spahn von der CDU, hat gerade gesagt, wer Hartz IV bezieht, sei nicht arm.
Das ist eine der unsäglichsten Bemerkungen, die man nur machen kann.

Trotzdem wird die SPD demnächst mit Herrn Spahn in der Regierung sitzen.
Ich denke wohl, dass Herr Spahn mittlerweile verstanden hat, dass so eine Bemerkung gesellschaftlich nicht geht. In der Sache werden wir in dieser Zweckgemeinschaft zusammenarbeiten. Der Koalitionsvertrag legt klar fest, was gemacht werden muss: die Einführung der Grundrente, die ersten Schritte hin zur gebührenfreien Kita. Und dass wir wirklich die Mieten einbremsen, dass der Bund auch weiterhin sozialen Wohnungsbau betreibt. Laut der Föderalismusreform hätte er damit Ende 2019 aufhören müssen. Aber da habe ich mich in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt – und nun wird es weitergehen.

Wie wollen Sie das Thema Wohnen in Bayern angehen?
Das kann man nur schaffen, wenn die Kommunen bauen – das tun sie auch, überall in Bayern – und der Bund sein Bauen fortsetzt. Es gibt aber dazwischen ein Glied, das im Moment fast gar nicht baut: das Land. Deshalb machen wir als SPD seit Langem deutlich, dass man eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft gründen muss, die in den nächsten fünf Jahren 25.000 bezahlbare Wohnungen baut. Dieselbe Zahl müssen wir insgesamt beim Wohnungsbau hinkriegen – allerdings pro Jahr. Um all das zu koordinieren und auch die Mietpreise zu bremsen, brauchen wir ein eigenständiges Bauministerium in Bayern. Dafür wird es allerhöchste Zeit. Wer seine Wohnung verliert, verliert seine Heimat.

Heimat – ein derzeit vielzitierter Begriff.
Ja, aber ich definiere ihn nicht so banal geografisch wie andere. Eine alte Freundin meiner Mutter muss jetzt aus der Stadt wegziehen, weil ihre Wohnung modernisiert wurde und die Miete durch die Modernisierungsumlage so stark gestiegen ist. Diese Frau findet nichts in der Stadt – und verliert ihre Umgebung, in der sie seit der Geburt war, sie verliert ihre Freunde und ihre Stadt. Sie sagt, sie verliert ihren Platz in der Gesellschaft. Ihre Heimat.

Kohnen: "Der Finanzminister muss seinen Fehler korrigieren"

Der designierte Ministerpräsident Markus Söder will zunächst einmal 2.000 Sozialwohnungen schaffen.
Herr Söder hat einen der größten Fehler der Landesregierung in den letzten Jahren gemacht, indem er die staatseigenen GBW-Wohnungen verkauft hat. Sie hätten 2013 der Grundstock für eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft sein können. Jetzt zu glauben, man könne diesen Kapitalfehler durch 2.000 Wohnungen wieder gutmachen, ist völlig realitätsfern. Deswegen gehen wir da jetzt massiv rein.

...und drohen Markus Söder zum Amtsantritt mit einem Untersuchungsausschuss.
Herr Söder hätte noch die Möglichkeit, uns Fragen zu diesem Thema zu beantworten. Wir haben ein Paket an parlamentarischen Anfragen eingereicht. Jetzt warten wir auf die Antworten – und die müssen befriedigend sein. Es kann doch nicht sein, dass der Finanzminister nicht weiß, an wen er diese Wohnungen eigentlich verkauft hat. Er weigert sich, offenzulegen, wer hinter der Patrizia steckt.

Laut Patrizia sind das 27 Investoren, "deutsche Versorgungseinrichtungen, Versicherungen und Sparkassen".
m Prinzip ist das ein sehr zwielichtiges Steuervermeidungs-Konstrukt. Und wir verlangen, dass das jetzt aufgeklärt wird. Deswegen werden wir versuchen, alle Details an die Oberfläche zu holen. Der nächste Schritt ist dann: Der Finanzminister muss seinen Fehler korrigieren, 33.000 Wohnungen ohne Not verkauft zu haben. Das funktioniert nicht, indem er nur 2.000 neue Wohnungen verspricht.

Die GBW-Wohnungen sind 2013 verkauft worden. Dass die Opposition das Thema jetzt aufgreift, sei reiner Wahlkampf, heißt es aus der CSU.
Nein. Wir haben immer wieder Fragen gestellt und seit Anfang 2017 verstärkt. Die Sozial-Charta, die auf den Wohnungen liegt, läuft jetzt zum Teil aus. Deshalb möchten wir wissen: Was passiert mit den 85.000 Menschen, die bislang in diesen Wohnungen gelebt haben?  Wo können sie hinziehen, wenn sie aus ihren GBW-Wohnungen raus müssen, weil die jetzt privatisiert werden?

Kohnen: Sachlich an das Thema Integration herangehen

Der zusätzliche Sitzungstermin für die Ministerpräsidenten-Wahl am Freitag – Söder will sein Amt nicht parallel zur Kanzlerin antreten – hat bei der Opposition für Unmut gesorgt. Werden Sie dabei sein?
Ja. Das empfinde ich als meine Pflicht. Aber es ist schon ein bisschen befremdlich, wie das gelaufen ist, weil Horst Seehofer alles so lange hinausgezögert hat, bis es letztendlich zu diesen Überschneidungen gekommen ist. Das hätte auch demokratisch-geordneter ablaufen können.

CSU-Chef Horst Seehofer hat noch vor seiner Vereidigung als Bundesinnenminister einen "Masterplan" angekündigt, der auf effektivere Abschiebungen abzielt. Was halten Sie davon?
Ich halte sehr wenig davon, wenn man sich vor der Vereidigung zum Minister schon auf die Brust trommelt. Ich glaube, Politiker sind gut beraten, wenn sie mit etwas mehr Ruhe und Zurückhaltung in so ein Amt hineingehen. Mein Eindruck ist, dass sich viele Menschen von der Politik wegdrehen, weil sie immer dieses Laute, dieses populistisch Gefärbte zu hören bekommen – und dann sagen: 'Mein Gott, über was reden die denn eigentlich? Die wissen überhaupt nicht, was bei mir los ist.' Das ist gefährlich, auch für die Demokratie. Deshalb muss der politische Stil in unserem Land ein anderer werden.

An das Thema Integration sollten wir sehr sachlich herangehen. Für uns ist wichtig, dass Schutzsuchende auch in Bayern sofort Arbeit aufnehmen können. Im Moment ist es in Bayern davon abhängig, wo du ankommst, ob du eine Arbeit aufnehmen darfst oder nicht. Das ist überhaupt nicht geregelt – und nicht zu verstehen. Dabei würde es das gesellschaftliche Gleichgewicht fördern, wenn Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, gleich arbeiten könnten und müssten. Aber: Wir dürfen auf keinen Fall immer nur über dieses eine Thema reden. Wir müssen endlich über die Themen sprechen, die das Leben eines jeden tagtäglich bewegen.

Lesen Sie hier: So viel kassierte Bayern 2018 durch Beute von Verbrechern

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