Bayerns letzte Manta-Fahrer

Frontspoiler und Fuchsschwanz: Der Rochen aus Rüsselsheim stirbt aus: Auch im Freistaat ist das legendäre Opel-Modell zu einer Rarität geworden. Ein Besuch bei den letzten Manta-Fahrern.
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Die typische-Manta-Fahrer-Position: Der Ellenbogen weit aus dem Fenster gereckt, die rechte Hand ruht lässig auf dem Lenkrad
Bernhard Schmid 2 Die typische-Manta-Fahrer-Position: Der Ellenbogen weit aus dem Fenster gereckt, die rechte Hand ruht lässig auf dem Lenkrad
Für sie ist der Opel Manta ein „Kulturgut“ (v.l.): Buchhändler Bernd (36), Schweißerin Sonja (33) und Mechaniker Michi (30) vom Manta-Fanclub.
Bernhard Schmid 2 Für sie ist der Opel Manta ein „Kulturgut“ (v.l.): Buchhändler Bernd (36), Schweißerin Sonja (33) und Mechaniker Michi (30) vom Manta-Fanclub.

Frontspoiler und Fuchsschwanz: Der Rochen aus Rüsselsheim stirbt aus: Auch im Freistaat ist das legendäre Opel-Modell zu einer Rarität geworden. Ein Besuch bei den letzten Manta-Fahrern.

Steht ein Manta vor der Uni. Perlmuttweiß, mit breiten Kotflügeln hinten und vorn, über die Karosserie winden sich zwei richtig breite Rallyestreifen. Bernd steigt aus. Ganz entspannt. Ein Fuß auf dem Boden, Kiesel knirschen. Bernd Lausenmeyer gehört wirklich hierher, er studiert Physik. In diesem Moment aber ist er nur ein Proll – für die anderen wenigstens.

Das war 1993. Heute fährt Bernd (36) noch immer einen Opel Manta. Aus Leidenschaft. Und weil er noch immer ein kleiner Revoluzzer ist. Proll ist Punk, und Punk ist für Bernd noch lange nicht tot. Deshalb leitet der Buchhändler aus Neuperlach Oberbayerns letzten Manta- Fanclub.

Die sieben Mitglieder treffen sich alle sechs Wochen, nicht immer sind alle dabei. Heute fahren sie zu dritt aus – zum schönen Tegernsee.

Hinten baumelt der Fuchsschwanz

Seinen ersten Manta kaufte Bernd, weil das alle für prollig hielten. Das ist heute nicht anders. „Damals holte ich ihn auf dem Höhepunkt der Manta- Witze“, sagt Bernd und schaltet zackig in den vierten Gang. Seinen goldenen Wagen aus dem Jahr 1983 kaufte er 1999 für 3500 Mark. Auf den Sitzen prangt das Opel-Logo, hinter Bernd baumelt der Fuchsschwanz. „Der wird ja von uns erwartet.“ Nach dem Tanken kippt Bernd Bleizusätze in seinen Tank, weil der Wagen sonst nicht fahren würde.

Hinter ihm fährt die 33-jährige Sonja in ihrem orangegelb gesprenkelten Wagen auf. Der Boden ihres Boliden ist tiefergelegt und saust eine knappe Handbreit über dem Asphalt. Dahinter rollt Michi (30), Kfz-Mechaniker aus Zorneding. Sein Auto ist Türkis- Metallic lackiert. Bernd wirft einen Blick in den Rückspiegel. Alle da, er gibt Gas: „Man fährt ja Manta, um aufzufallen.“

Der Rochen aus Rüsselsheim

Opel Manta – der Rochen aus Rüsselsheim. Fuchsschwanz, Frontspoiler, Friseuse. Aber auch ein großer Sportwagen: 1984 gewinnt der Franzose Guy Frequelin in einem Manta B 400 sogar die Rallye Paris-Dakar. Von 1975 bis 28. Juni 1988 rollen aus den Werken Rüsselsheim, Bochum und Antwerpen exakt 557940 Modelle des kantigen Typs B vom Band. 13 Jahre – so lange wurde bis heute kein anderes Opel-Modell gebaut.

Bis in die 90er parkten die Karren noch an jeder Straßenecke. Heute gibt es in Deutschland nach Schätzungen nur noch 600, 700 Stück.

Schuld daran ist die Grenzöffnung. Als 1990 die Mauer fiel, suchten die neuen Bundesbürger nach billigen Autos, die etwas hermachten. Der Manta bot das beste Preis-Leistungsverhältnis. Die neuen Käufer schnappten sich die günstigen Coupés und fuhren sie in Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zu Tode. „Es gibt heute keinen großen Bestand mehr, weil es damals dieses Bewusstsein noch nicht gab, dass es immer weniger von ihnen geben wird“, sagt Bernd, als spräche er von aussterbenden Elefanten. Für ihn ist der Club aus diesem Grund ein Stück „kulturelle Arbeit“ und der Manta ein „Kulturgut“, das es zu erhalten gilt.

Am Scheideweg

Motzten die Mannis dieser Welt früher ihre Mantas noch gnadenlos auf, versuchen Bernd und seine Freunde heute, den Originalzustand ihrer Fahrzeuge so gut wie möglich zu konservieren. In ein paar Jahren werden die schnittigen Prollkarren gesetzte Oldtimer sein. „Wir befinden uns am Scheideweg“, sagt Bernd.

Ersatzteile werden rar: „Wir wurden jahrelang von Opel stiefmütterlich behandelt. Erst jetzt fangen sie an, wieder welche bereit zu stellen.“ In seiner Garage hortet Bernd wie alle anderen Manta-Fahrer der Republik Scheinwerfer, Spoilerteile und Lichtmaschinen. Was ihm aber langsam Sorgen macht, sind die Felgen. Die gehen ihm aus. Und die Reifen, die er braucht, werden seit zehn Jahren nicht mehr hergestellt. „Irgendwann werde ich den Wagen stehen lassen müssen.“

Die gute alte Zeit hinüber zu retten ist ganz schön mühsam: Manche basteln, schrauben und lackieren über Jahre. Sonja, die Berufskraftfahrerin lernte, zur Bäckerin umschulte und jetzt als Schweißerin arbeitet, ließ ihren Manta eineinhalb Jahre umbauen. Sie hat ein Fotoalbum aus der Zeit angelegt, es liegt auf dem Rücksitz. Die penible Arbeit kann sich aber lohnen: Manche Mantas kosten weit über 10000 Euro.

Noch 70 bis 80 Mantas in Oberbayern

„Aus der Szene kriegt man schon jetzt fast keine Autos mehr“, sagt Bernd. Das liegt auch daran, dass die immer kleiner wird. Rund 70 bis 80 Mantas gibt es noch in Oberbayern, schätzt Bernd. Tendenz: stark sinkend. Selbst große Clubs aus dem Ruhrgebiet bringen maximal 20 Mitglieder zusammen. „Viele haben keine Lust mehr – oder sie haben ihre Autos zu Schrott gefahren.“

Im Jahr fahren die Münchner Manta-Fans auf zwei bis drei Treffen – in den 90ern waren es noch doppelt so viele. Das letzte fand 2007 in Oberschleißheim statt. 100 Fahrzeuge standen auf dem Flugplatz, „und da sind wir noch froh drüber“, meint Bernd, die Hände in den Hüften. Wie ein Indianer blickt er von der Aussichtsplattform bei Gut Kaltenbrunn aus über den smaragdgrünen Tegernsee. Ein Mann und sein Auto – die letzten ihrer Art.

"Man erlebt die Straße"

Weiter nach Schliersee. Bernd steigt schwungvoll ein, das Schloss klackt, das Blech scheppert. Seine Hand greift zum Schlüssel, er dreht, der Motor stottert und wummert, der Schalthebel rattert, der Lenker vibriert. Benzingeruch dringt ein. Bernd fährt los, die Räder krachen über den ersten Gullideckel. Die Federung ist knochentrocken, das Ding ist richtig unbequem. Bernd liebt das. „Man erlebt und beherrscht die Straße“, ruft er durch den pfeifenden Wind und das Röhren der Kolben.

Die Straße. Die Freiheit. Kurve für Kurve Richtung Rottach zieht und kurbelt Bernd am Steuer, eine Servolenkung hat der Manta nicht. Die Fahrt ist Arbeit, doch Bernd leitet daraus eine Lebenseinstellung ab, eine tiefergelegte Sicht auf die Natur der Dinge: „Wir Manta-Fahrer sind Menschen, die sich nicht alles leisten können“, sagt er. „So entwickelt man eine Menge Toleranz. Wir sehen leichter ein, dass eben nicht alles immer rund läuft.“

Klingt gar nicht nach Proll – eher nach Punk. Und nach einer richtig großen Liebe.

Thomas Gautier

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