Bayerns FDP-Chef Hagen: "2G - da bin ich skeptisch"

AZ-Interview mit Martin Hagen: Der 40-Jährige ist seit 2018 Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Bayerischen Landtag, Mitglied im Bundesvorstand und seit dem vergangenen Wochenende Bayerns FDP-Chef.
AZ: Herr Hagen, betrachtet man die FDP auf Bundesebene, drängt sich der Eindruck einer One-Man-Show auf: Christian Lindner als Parteivorsitzender, als Fraktionschef, als Spitzenkandidat. Eifern Sie ihm in Bayern jetzt nach?
MARTIN HAGEN: Wir haben im Bund wie in Bayern ein breit aufgestelltes Team mit vielen klugen Köpfen. Aber als kleinere Partei in der Opposition ringt man immer um Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund hat es sich bewährt, die Kräfte von Partei und Fraktion zu bündeln. Das war im Bund mit Christian Lindner sehr erfolgreich - und wenn es in Bayern ähnlich läuft, freuen wir uns. Im Bund sind wir ja jetzt in der Regierung und das gibt uns die Möglichkeit, uns dort breiter aufzustellen, zum Beispiel mit mehreren Ministern.
"Alle sollten unabhängig vom Geschlecht die gleichen Chancen haben"
Was ist mit Ministerinnen?
Mir fallen sehr viele Frauen in der FDP ein, die ich für ministrabel hielte.
Trotzdem wehrt sich die FDP vehement gegen Parität.
Wir glauben ganz grundsätzlich, dass eine Durchquotierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nicht das Richtige ist. Alle Menschen sollten unabhängig vom Geschlecht die gleichen Chancen haben, Posten aber nicht aufgrund des Geschlechts vergeben werden. Davon abgesehen wünsche ich mir natürlich mehr Frauen in der Politik und insbesondere in der FDP.
"Brauchen in Bayern eine modernere, ambitioniertere Wirtschaftspolitik"
Zurück in den Freistaat: Sie wollen Ihre Partei bei der Landtagswahl 2023 in die Regierung führen. Welches Modell schwebt Ihnen vor - eine Ampel wie bald in Berlin oder doch lieber Schwarz-Gelb?
Zwei Jahre vor einer Wahl ist es zu früh für Koalitionsdebatten. Wir haben bei der Bundestagswahl doch gesehen, wie schnelllebig dieses Geschäft ist: Die FDP wollte eigentlich eine Jamaika-Koalition und lange sah es auch danach aus - dann hat sich in den letzten Wochen alles gedreht, die SPD wurde stärkste Kraft und die Union zerlegte sich selbst. Wer weiß, wie die Situation 2023 ist? Klar ist nur: Wir sind jetzt seit drei Jahren im Landtag, haben uns fachlich sehr gut etabliert und wollen beim nächsten Mal Regierungspolitik gestalten. Bayern braucht mehr liberale Impulse.
Sie haben beim Parteitag in Bayreuth gesagt, der Posten des bayerischen Wirtschaftsministers sei "gefühlt vakant". Heißt das, Sie wollen dieses Amt im Fall einer Regierungsbeteiligung übernehmen?
Auch diese Debatte käme viel zu früh. Aber ganz grundsätzlich gilt: Wir brauchen in Bayern eine modernere, ambitioniertere Wirtschaftspolitik als die von Hubert Aiwanger. Der FDP sagt man auf diesem Gebiet ja zu Recht einige Kompetenz nach.
"Man merkt den Willen, etwas Gemeinsames entstehen zu lassen"
Sie gehörten zur FDP-Delegation, die - aufgeteilt auf verschiedene Arbeitsgruppen - über die Grundlage des Ampel-Koalitionsvertrages mitverhandelt hat. Wie war die Stimmung?
Man merkt, es sind drei sehr unterschiedliche Parteien und es gibt inhaltliche Differenzen. Man merkt bei allen drei Partnern aber auch den Willen, etwas Gemeinsames entstehen zu lassen und Deutschland zu modernisieren. Ich bin zuversichtlich, dass es der Ampel gelingt, unserem Land zu einem Aufbruch zu verhelfen.
Für die Grünen war auch ein Martin Hagen dabei, allerdings nicht in Ihrer Arbeitsgruppe. Haben Sie Ihren Namensvetter trotzdem kennengelernt?
Ja, wir haben uns tatsächlich auf einen Kaffee in Berlin getroffen. Ein sehr netter Kollege aus Bremen!
Hier sieht Hagen Reformbedarf
Sie haben mit den Kollegen von SPD und Grünen über den Bereich "Gleichstellung und Vielfalt" diskutiert. Was war Ihnen dabei wichtig?
Wir dürfen über die Verhandlungen und ihre Ergebnisse aktuell nicht sprechen, weil der Koalitionsvertrag ja noch nicht steht. Aber was allen am Verhandlungstisch wichtig war, ist, dass wir eine modernere Gesellschaftspolitik schaffen, die der Vielfalt in unserer Gesellschaft Rechnung trägt.
Inwiefern? Wo sehen Sie persönlich Reformbedarf?
Ich persönlich denke etwa an den Paragrafen 219a, der immer noch Informationen über Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Oder an die Rechte von LGBTQ-Personen und Regenbogenfamilien. Bei der Reproduktionsmedizin haben wir teilweise antiquierte Gesetze. Als Einwanderungsland braucht Deutschland einerseits klare Regeln für Migration und andererseits mehr Anerkennung für das, was Zugewanderte in unserer Gesellschaft leisten.
Parteien haben bei Zielen "große Gemeinsamkeiten"
Man hört, in Sachen Klimaschutz und Finanzen gebe es noch erhöhten Redebedarf. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Olaf Scholz tatsächlich in der Nikolaus-Woche zum Kanzler gewählt wird?
Die Arbeitsgruppen haben am Mittwoch pünktlich ihre Papiere abgeliefert. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass der durchaus ambitionierte Zeitplan auch weiterhin eingehalten werden kann. Wir haben bei den Zielen große Gemeinsamkeiten, zum Beispiel die Pariser Klimaziele einzuhalten und unsere Wirtschaft klimaneutral umzubauen. Aber mitunter gibt es Differenzen darüber, was der beste Weg dorthin ist. Da muss man sich jetzt eben einig werden. Was die Finanzen angeht: Da versteht sich die FDP als Anwalt der Steuerzahler und der künftigen Generationen.
Ein gemeinsames Projekt ist schon bekannt: Die Ampel will die epidemische Lage von nationaler Tragweite Ende November auslaufen lassen. Ab März soll es überhaupt keine Corona-Schutzmaßnahmen mehr geben. Ist das angesichts von rund 50.000 Neuinfektionen täglich wirklich der richtige Weg?
Es ist richtig, die epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen zu lassen, weil mit diesem Rechtskonstrukt Maßnahmen verbunden waren wie Lockdowns, Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen, pauschale Schulschließungen und Beherbergungsverbote - also drastischste Grundrechtseinschränkungen. Wir sind jetzt in der Situation, dass für alle Bürger Impfstoff zur Verfügung steht und breite Teile der Bevölkerung geimpft sind. Weil wir dennoch erleben, dass die Zahlen stark steigen, haben die Ampel-Parteien ein neues Infektionsschutzgesetz vorgelegt, das den Ländern sehr umfangreiche Maßnahmen an die Hand gibt - zum Beispiel 1G-, 2G- oder 3G-Regeln. Außerdem führen wir kostenlose Tests wieder ein und schaffen 3G-Regeln am Arbeitsplatz. Dieser Bereich war in der Vergangenheit fast völlig unreguliert.
"Werden Menschen dann fixiert und gegen ihren Willen geimpft?"
Die kostenlosen Tests für alle sollen bereits ab dem heutigen Samstag wieder bundesweit eingeführt werden. Zufrieden?
Unbedingt. Es war ein riesiger Fehler der Bayerischen Staatsregierung, sie abzuschaffen. Gerade Ungeimpfte sollten sich sehr regelmäßig testen. Weil wir zudem wissen, dass auch Geimpfte das Virus weitertragen können, ist es auch für sie gut, sich testen zu können, wenn sie etwa die Großeltern besuchen oder in größeren Menschenmengen unterwegs waren. Abgesehen davon sollten wir noch einmal an die Bevölkerung appellieren, sich impfen und auch boostern zu lassen. Wir haben in den Krankenhäusern zwar überwiegend Ungeimpfte, aber leider auch zunehmend ältere Patienten, bei denen der Impfschutz schon nachgelassen hat.
Die Rufe nach einer Impfpflicht werden lauter. Sie - sowohl die FDP als auch die Ampel - sind dagegen. Warum?
Ich frage mich, wie das in der Praxis aussehen soll: Werden dann Menschen, die sich partout nicht impfen lassen wollen, von der Polizei abgeholt, fixiert und gegen ihren Willen geimpft? Das kann doch niemand befürworten. Worüber man diskutieren kann, ist eine obligatorische Impfung in bestimmten Berufen, etwa in der Alten- und Krankenpflege.
"Hubert Aiwanger sollte erklären, warum er umgedacht hat"
München führt am Montag 2G in der Gastronomie ein, Ministerpräsident Markus Söder will Vergleichbares für ganz Bayern, Jens Spahn gar 2G plus für ganz Deutschland. Sehen Sie darin keine Impfpflicht durch die Hintertür?
Ich bin da deswegen skeptisch, weil ich es für besser halte, Ungeimpfte zu testen, als sie ins Private zu drängen. Wenn ungeimpfte Menschen nicht mehr ins Restaurant dürfen, werden sie sich eben beim privaten Abendessen mit Freunden treffen und sich im Zweifel dort infizieren. Besser wäre es, den Leuten mit 3G-Regeln einen Anreiz zu bieten, sich testen zu lassen. Und niedrigschwellige Angebote, sich vielleicht doch noch impfen zu lassen. Denn die Impfung ist der beste Schutz vor einem schweren Coronaverlauf.
Sehen Sie denn eine Chance, Menschen, die sich bislang nicht impfen lassen wollten, vom Gegenteil zu überzeugen?
Hubert Aiwanger hat ja am Donnerstag erklärt, dass er sich endlich hat impfen lassen. In der Vergangenheit hat er sehr wortreich bundesweit in den Medien erklärt, warum er sich zunächst geweigert hat. Ich würde mir wünschen, dass er jetzt genauso wortreich bundesweit darüber spricht, warum er es sich anders überlegt hat. Damit könnte er, der ja bisher eine Galionsfigur der Impfskeptiker war, vielleicht erreichen, dass diese Menschen ebenfalls umdenken.