Bayern: Milliardenverluste durch Steuerbetrug
Weil es zu wenig Finanzbeamte und Steuerfahnder gibt: Allein Bayern kosten Umsatzsteuerbetrüger nach Schätzungen jedes Jahr eine Milliarde Steuereinnahmen.
München – Bayerns solide Finanzen sind seit Jahrzehnten ein Aushängeschild der wechselnden Staatsregierungen. Jetzt gießt der Oberste Rechnungshof (ORH) ein wenig Wasser in den Wein. Die Kassenprüfer des Freistaats fordern mehr Schuldenabbau und Vorsicht bei Bürgschaften.
Der Oberste Rechnungshof (ORH) fordert von der Staatsregierung größeren Ehrgeiz beim Schuldenabbau. In ihrem neuen Jahresbericht verlangten die Kassenprüfer des Freistaats am Dienstag außerdem eine deutliche Reduzierung der Bürgschaften und Garantien, die die Staatsregierung für die BayernLB und andere Unternehmen übernommen hat. Diese beliefen sich laut ORH Ende 2010 auf insgesamt rund 11,6 Milliarden Euro. ORH-Präsident Heinz Fischer-Heidlberger kritisierte unter Verweis auf die hohen Steuermehreinnahmen, dass die Staatsregierung 2012 nur 250 Millionen Euro Kredite abbezahlen will: „Ich hätte mir doch etwas mehr Eifer beim Schuldenabbau gewünscht.“
Von den Bürgschaften der Staatsregierung entfallen 4,8 Milliarden allein auf die Landesbank. Dabei handelt es sich um die Garantie, mit der der Freistaat für die Verlustrisiken aus den Geschäften der Landesbank mit riskanten US-Immobilienpapieren haftet. Tatsächlich erwartet werden derzeit 2,8 Milliarden Euro Verlust, von denen die Landesbank selbst 1,2 Milliarden Euro übernehmen müsste. Die Staatsregierung hat ihren Verlustanteil von 1,6 Milliarden Euro für das Jahr 2014 eingeplant.
Der ORH warnt außerdem vor einem weiteren Anstieg der bayerischen Staatsverschuldung von derzeit über 30 auf fast 34 Milliarden Euro. Dies liegt an einer Besonderheit des bayerischen Haushaltsrechts: Wird eine Kreditermächtigung in einem Jahr nicht verwendet, kann sie im nächsten Jahr als „Rücklage“ verbucht werden – obwohl es sich dabei nicht um ein echtes Sparguthaben handelt, sondern lediglich um die haushaltstechnische Berechtigung zum Schuldenmachen. ORH-Präsident Fischer-Heidlberger forderte den Landtag deshalb auf, bei der Übertragung nicht genutzter Kreditermächtigungen ins nächste Haushaltsjahr „besonders zurückhaltend“ zu sein.
Finanzminister Markus Söder (CSU) betonte in seiner Reaktion, Bayern sei das Bundesland mit der „solidesten und stabilsten Haushalts- und Finanzstruktur“. „Kein anderes Land zahlt über drei Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich und kann gleichzeitig Schulden tilgen.“
Zum wiederholten Mal spießt der ORH jedoch auch einen Kritikpunkt auf, der das Finanzministerium selbst betrifft: Die Rechnungsprüfer monieren, dass dem Fiskus alljährlich Milliardeneinnahmen entgehen, weil Finanzbeamte und Steuerfahnder fehlen. Allein Bayern kosten Umsatzsteuerbetrüger nach Schätzungen jedes Jahr eine Milliarde Steuereinnahmen.
Die Prüfungsquote ist laut ORH im Freistaat mit 1,12 Prozent sogar niedriger als der Bundesdurchschnitt von 1,73 Prozent. Der ORH hält wegen der „enormen Ausfälle“ die Einstellung zusätzlicher Finanzbeamter deshalb für dringend notwendig, wie es in dem Bericht heißt. „In Bayern wird zur Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung seit Jahren deutlich zu wenig und weniger Personal als im bundesweiten Durchschnitt eingesetzt.“
Der ORH geht davon aus, dass der Einsatz mehrerer hundert neuer Umsatzsteuerprüfer, Steuerfahnder und sonstiger Finanzbeamter sinnvoll wäre. Die Einnahmen würden die Personalkosten nach ORH-Einschätzung weit übersteigen: Allein bei der sogenannten betriebsnahen Veranlagung von Kleinfirmen erwirtschafte ein Prüfer im Schnitt 420 000 Euro Mehreinnahmen im Jahr.
Der SPD-Haushaltsexperte Volkmar Halbleib kritisierte den Steuervollzug in Bayern als „handfesten Skandal“: „Es ist nicht länger akzeptabel, dass Jahr für Jahr hunderte Millionen Steuereinnahmen verschenkt werden.“ Er forderte die Staatsregierung auf, im Nachtragshaushalt 2012 den Stellenplan der Finanzämter spürbar aufzustocken. Auch die Grünen mahnten dringenden Handlungsbedarf an: „Seit Jahr und Tag kritisiert der ORH die unzureichende Personalausstattung bei Steuerprüfung und Steuerfahndung“, sagte die haushaltspolitische Sprecherin Claudia Stamm.