Bayern: Drohende Millionenverluste – Versorgungskammer-Chefs müssen im Landtag aussagen
München - Auf der 27. Etage der Transamerica-Pyramide, dem Wolkenkratzer-Wahrzeichen von San Francisco, entfaltet sich ein Geschehen, das Erinnerungen an den Hollywood-Blockbuster “Wall Street“ wachruft. Doch dort sitzt nicht Michael Douglas in der fiktiven Rolle des Finanzhais Gordon Gekko am Bürotisch, sondern ein umstrittener US-amerikanischer Geschäftsmann, der sich im Jahr 2018 der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe schuldig bekannte.
Nach der Verurteilung hat er Immobilien – auch mit Rentengeld aus Bayern – renoviert. Doch dabei lief allein in San Francisco einiges schief: Erst vor wenigen Wochen ist das bekannte Gebäude am Pazifik wiedereröffnet worden, kurz darauf flog bereits eine Glasfront aus dem 35. Stock. Sie traf beinahe Passanten.
Es ist einer von vielen Vorfällen, die in Zusammenhang mit dem Immobilienentwickler Michael Shvo und seinen Firmen stehen. Sie zeigen: Es ist nicht alles Gold, was glänzt – erst recht nicht, wenn es um vermeintliche Luxus-Gebäude auf dem nordamerikanischen Immobilienmarkt geht.
Auch Abgeordnete im Bayerischen Landtag wollen jetzt herausfinden, was mit dem Rentengeld aus dem Freistaat passiert ist.
Versorgungswerke haben Millionen in Immobilienprojekte eines Steuerbetrügers gepumpt
Das Brisante: Insgesamt elf bayerische Versorgungswerke haben in den letzten sechs Jahren fast eine Milliarde US-Dollar in eine Reihe von Shvos zwielichtigen Projekten gepumpt. Geflossen ist unter anderem Rentengeld von Ärzten, Rechtsanwälten, Apothekern, Schornsteinfegern, Ingenieuren, Musikern, Künstlern und Abgeordneten des Bayerischen Landtags – über einen Fonds in Luxemburg.
Verantwortlich für diese spekulativen Geschäfte ist eine in Bayerns Innenministerium angesiedelte Oberbehörde. Deshalb kommt nun auch das Parlament ins Spiel.
Die Aufgabe der Bayerischen Versorgungskammer (BVK) ist es, die Beiträge von mehr als zwei Millionen Versicherten – das entspricht jedem fünften Haushalt im Freistaat – "sicher" anzulegen, wie aus dem Geschäftsbericht der BVK aus dem Jahr 2023 hervorgeht.
Mehrmals hätten Alarmglocken klingeln müssen: Jetzt drohen hohe Millionenverluste
Doch inzwischen wird immer deutlicher, dass die Behörde dieser großen Verantwortung nicht immer gerecht geworden ist. Jetzt könnten die US-Deals zum Fiasko zu werden, es drohen hohe Millionenverluste.
Dabei hätten mehrmals die Alarmglocken klingeln müssen: Shvo schleuste Geld am Fiskus vorbei, ein Geschäftspartner warnte die BVK 2020 und eine Immobilien-Analyse aus dem Frühjahr verdeutlicht, welches Risiko die Behörde eingegangen ist.
Jetzt sitzt der 51-jährige Michael Shvo mit einem Glas Whisky in der Transamerica-Pyramide, die zur Hälfte leer steht. Er wirkt sichtbar angespannt und will reinen Tisch machen. Zumindest versucht er es in einem vom US-Immobilien-Nachrichtenportal "The Real Deal" aufgezeichneten Videointerview.
Umstrittener US-Unternehmer Michael Shvo meldet sich in einem Videointerview zu Wort
Für Shvo ist das eine Sisyphusarbeit. Denn nicht nur in San Francisco gibt es Probleme – auch in Miami, Beverly Hills und New York gleichen, die mit der BVK in Verbindung stehenden Gebäude zum Teil einer Baustelle. Teilweise gibt es Ärger mit Kreditgebern; manche Projekte drohen auf Eis gelegt zu werden.
Hinzu kommen weitere Probleme: Der Immobilienentwickler steht unter Verdacht, Investorengeld zweckentfremdet zu haben. Strittig sind unter anderem hohe Reisekosten in Städte wie Las Vegas, in denen gar keine Immobilien entwickelt werden. Auch die Miete für ein privates Penthouse soll er geltend gemacht haben.

Mehrere Rechtsstreite sind bereits ausgebrochen. Mieter und Käufer sind wütend. Zwei von ihnen haben Shvo und die Investoren verklagt. Neben dem Betreiber und Manager des Fonds auch den größten Geldgeber: die Bayerische Versorgungskammer. In zwei Fällen werden die Beteiligten in New York auf insgesamt mehr als 600 Millionen Dollar verklagt.
US-Steuerbetrüger bezeichnet bayerische Renten-Behörde als Partner
Im Interview mit der US-amerikanischen Nachrichtenplattform erinnert sich Shvo an viele Schwierigkeiten aus der Vergangenheit, offenbar nicht mehr. Die im Innenministerium angesiedelte Bayerische Versorgungskammer ist ihm aber im Gedächtnis geblieben.
Der Steuerbetrüger bezeichnet die Behörde als "Partner" – auch, wenn das die BVK anders sieht. Auf AZ-Anfrage heißt es mehrmals, dass man mit Shvo keinen Vertrag habe.
Es gibt keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der BVK-Verantwortlichen. Auch für den US-Geschäftsmann gilt die Unschuldsvermutung.
Nach mehreren alkoholischen Getränken will der Geschäftsmann sich nicht auf konkrete Zahlen und Verluste festnageln lassen. Shvo sagt, dass er ähnlich wie der Luxus-Autohersteller Rolls-Royce agiere. Man vermietet Immobilien langsamer, "weil sie teurer sind", sagt er im Gespräch.
Gebäude stehen zum großen Teil leer: Mieten liegen deutlich über Marktdurchschnitt
Doch die Fakten zeigen: Shvos Mietpreise (San Francisco: bis zu 2000 Dollar pro Quadratmeter) liegen extrem weit über dem Marktdurchschnitt. Das zeigt auch eine der AZ vorliegende Marktstudie. Ein externes Unternehmen hat darin ein mit der BVK in Verbindung stehendes Gebäude in New York untersucht.
In der Analyse wird die Renten-Behörde darauf hingewiesen, dass die Preise "signifikant" reduziert werden sollten. Dazu will sich die Behörde – wie auf zahlreiche weitere Nachfragen – "aus Gründen der Vertraulichkeit" nicht äußern.
Auf die Frage, warum Shvo überhaupt in den von der Coronapandemie stark gebeutelten kommerziellen US-Immobilienmarkt einsteigt, antwortet er religiös: "Gott versprach Noah nach der Flut, dass er die Welt nicht nochmal zerstört. (...) Wenn wir also wissen, dass Corona nicht das Ende der Welt war, sollten wir weiter in Immobilien investieren."
Shvo bezeichnet die Deals als "Wetten". Außerdem passen seine Aussagen nicht. Der Unternehmer behauptet zum Beispiel, dass er bis auf zwei Rechtsstreite noch nie verklagt wurde. Die Wahrheit ist: Shvo war in den letzten Jahren in mehrere Gerichtsverfahren verwickelt. Der AZ liegen die Klageschriften vor.
Hoher Angestellter der BVK hat sich mehrere Male mit umstrittenen Geschäftsmann getroffen
Die BVK hat sich im Jahr 2018 wohl von Shvo überzeugen lassen. Damals sprach die Renten-Behörde noch von "spektakulären" Investments und einem "Immobilien-Coup" an der Westküste, geht aus dem Geschäftsbericht von 2020 hervor.
Rainer Komenda, der für die Investments zuständig ist, besuchte die vermeintlichen Trophäen in den Folgejahren persönlich. Auf zahlreichen der AZ vorliegenden Dokumenten posierte er in verschiedenen US-Städten direkt neben Shvo.
Denkwürdige Sitzung im Bayerischen Landtag: Abgeordnete streiten sich über BVK-Geschäfte
Doch inzwischen hat sich der Wind offenbar gedreht: Die BVK spricht in der AZ vorliegenden Dokumenten von Verlusten. Auch die Branchenplattform IPE berichtete im Frühjahr, dass die BVK ihre Anlagestrategie überdenken will.
Deshalb läuten nun auch auf unserer Seite des Atlantiks die Alarmglocken. 21 Abgeordnete finden sich am Mittwoch in einer denkwürdigen Sitzung im Haushaltsausschuss des Landtags zusammen. Auch ein Verantwortlicher aus dem Innenministerium ist der hitzigen Debatte zugeschaltet.

Zuvor haben die Sozialdemokraten einen Antrag eingebracht. "Da hohe Verluste drohen, ist dringend ein Bericht des zuständigen Innenministeriums im Landtag erforderlich", fordern sie darin.
SPD-Landtagsabgeordnete Christiane Feichtmeier: "Es geht um riesige Summen"
Rund eine halbe Stunde diskutieren die Gesetzgeber und kommen fast einstimmig zum Entschluss: Die BVK und das Innenministerium sollen noch in diesem Jahr im Haushaltsausschuss zu den Geschäften in Nordamerika mündlich Fragen beantworten.
"Es geht um riesige Summen", sagt die SPD-Abgeordnete Christiane Feichtmeier in der Sitzung. "Dreistellige Millionenbeträge sind kein Pappenstiel." Die Politikerin will deshalb wissen, "wohin die Investitionen flossen".
Im Innenministerium sind die Beamten davon wenig begeistert: "Es laufen gerade Prozesse in den USA. Da könnte man sich selbst belasten – deshalb würden wir uns mit den Antworten etwas Zeit lassen", sagt ein Vertreter im Ausschuss.
Wegen Rechtsstreiten in den USA: CSU-Abgeordneter enthält sich bei Abstimmung
Ähnlich sieht es der CSU-Abgeordnete Michael Hofmann: Jede Diskussion im Parlament könnte den Klägern in den USA einen Vorteil verschaffen. Der Politiker enthält sich als einziges bei der Abstimmung.

Der haushaltspolitische Sprecher der Freien Wähler, Bernhard Pohl, befürchtet, dass Geheimdienste wie die NSA Informationen abfangen könnten. Das kommentiert SPD-Politiker Volkmar Halbleib humorvoll: Wenn man mit Geheimdiensten argumentiere, "bewegt man sich in höheren Sphären", sagt er. Der Abgeordnete verstehe, dass man das Innenministerium schützen wolle, "es kann aber nicht sein, dass Prozesse in den USA laufen und das Parlament keine Auskunft gibt".
Grünen-Abgeordneter Tim Pargent will Kontrollmechanismen im Landtag verbessern
An mehr Informationen will auch Tim Pargent, Finanzexperte der Grünen, gelangen: "Diese Geschäfte um die schillernde Person Shvo werfen Fragen auf", sagt er in der Sitzung. Unklar sei, warum so große Investments mit "einem Herrn" abgeschlossen werden, "der wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde".
In der Debatte wirft Pargent eine Grundsatzfrage auf: "Trotz der großen Behördenstruktur gibt es keine nennenswerte parlamentarische Kontrolle", teilt der Politiker der AZ mit.
Das möchte der Volksvertreter ändern. Die BVK soll öfter Rechenschaft über ihre Geschäfte ablegen. Möglich wäre auch eine Gesetzesänderung. Dann könnte die BVK bedeutende Entscheidungen nicht mehr allein treffen.