Bayerischer Meister: Der (ältere) Herr der Witze

Weiß sind seine Haare, weiß ist sein Rollkragenpulli. Brav schaut Siegfried Sandner aus Obermeitingen aus. Wie ein Mesner oder ein Bibliothekar. Im Ruhestand. Aber der erste Eindruck täuscht. Hinter seinen Ohren steckt nicht nur ein Hörgerät, sondern Schalk.
84 Jahre ist der Uhrmacher alt und ist am Samstag aus dem Landkreis Landsberg 140 Kilometer nach Ergolding bei Landshut gefahren, weil er Bayerischer Witzemeister 2022 werden will. Corona hatte den Wettbewerb, hinter dem Harry Meier steckt, zwei Jahre ausgebremst. Seit 13 Jahren sucht der Oberpfälzer die besten Witzeerzähler, bezirks- und bayernweit.
In der Jury: Theaterschauspielerin Gerda Steiner (Tochter von Peter Steiner), Eberhofer-Darsteller Johannes Berzl (Lotto-Otto), Kabarettist Fonse Doppelhammer und Volksmusikantin Karin Obermaier (Wiesn-erholt).
Zehn Kandidaten treten an, drei dürfen aufs Treppchen - wenn es eines gäbe, die Bühne hat eher urige Stammtisch-Atmosphäre, man hockt nebeneinander. Die Regeln: Reihum ist in jeder der vier Kategorien pro Person nur ein Witz erlaubt. Zeit: maximal 90 Sekunden. Der Applaus entscheidet im Halbfinale, am Ende die Jury. Schon die Reaktionen auf die Aufwärmwitze zeigen, dass sich beim Publikum einiges angestaut hat. "Was passiert, wenn man Cola und Bier trinkt? Man kollabiert", heizt Moderator Meier an. Flach, aber zielführend. Schallendes Gelächter. Über zwei Jahre gab es wenig zu lachen - jetzt wollen die Menschen schmunzeln, kichern, losprusten. Und das nicht versteckt unter einer Maske.
Unaufgeregt, trocken – und etwas anzüglich
Der älteste Bewerber sei er, beginnt Sandner seine Vorstellung. Unaufgeregt, trocken. Applaus für seine 84 Jahre. "So lustig ist das gar nicht, wie Sie meinen", sagt er. Er habe sich heute im Spiegel betrachtet, nackt. Da habe er runtergeschaut - ja, Sie ahnen, wohin genau - und habe ihn gefragt: "Wir sind doch zusammen geboren worden, haben so viel Schönes zusammen erlebt. Warum bist jetzt du vor mir gestorben?"
Kam das gerade wirklich aus dem Mund dieses Seniors? Klatschen, zugekniffene Augen, Lachfalten, wohin man blickt. "Und jetzt kommt mein erster Witz." Wieder Applaus. Der wird nicht weniger anzüglich - das Wort Schnackseln fällt.
Und damit eine Bestandsaufnahme zum Witz in Bayern - der ist an diesem Abend durchaus derb und anzüglich (übrigens nur männliche Witzeerzähler) - und einmal komplett daneben, als in einem Witz mehrfach das N-Wort fällt. Der Kandidat schafft es nicht ins Finale. Richtig so.
Sandner dagegen schon. Der behält seine zwei Konkurrenten - darunter den Münchner Chris Buntspecht - genau im Blick. Später sagt der 84-Jährige der AZ: "Ich hab' geschaut, ob ich einen der Witze brauchen kann." Das Witzeerzählen habe er von seinem Opa, 400 kenne er auswendig, 700 habe er notiert. Aber nur in Stichworten.
Daheim erzählt der Sieger keine Witze
Einen Zettel mit einzelnen Wörtern holt er auch in einer Wartepause hervor, schielt kurz drauf, packt ihn wieder weg. Weiter geht's.
Seine Frau war es, die ihn zunächst für die schwäbische Witzemeisterschaft motivierte, die gewann er zweimal. Nun will er Bayerns Bester werden. 55 Jahre sind die zwei verheiratet - daheim erzählt er keine Witze, "ich kenne ja schon alle", sagt sie und lacht.
Fast kegelt sich der Senior in einer Runde raus, als er zwei statt nur einen Witz erzählt - hier verstehen die Witzemeister keinen Spaß. Der zweite zündet zwar mehr, die Lautstärke des Applauses fließt aber nicht in die Wertung ein.
Nun muss zwischen all den Lachern auch die Frage gestellt werden: Warum braucht's ausgerechnet jetzt, bei all den Krisen, Witze? Darf man lachen, wenn in Europa Krieg herrscht, und Corona noch nicht vorbei ist? "Der Mensch muss in diesen Zeiten ganz dringend lachen", sagt Steiner der AZ. Das sieht auch Doppelhammer so, der rund 250 Pointen in ein Kabarett-Programm packt: "Witze bringen auf positive Gedanken" - für Schauspieler Berzl macht es die Mischung. Ernste Themen müssten besprochen werden, aber der Mensch brauche auch mal ein Lachen.
Einen guten Witz macht für Doppelhammer eine "Pointe aus, bei der man aus allen Wolken fällt"; Obermaier mag Geschichten aus dem Leben. Am Ende entscheidet sich die Jury für den Oberbayer Sandner. Der nimmt die Gewinner-Holzscheibe in Empfang und hält sie fürs Gruppenbild erstmal breit vor sein Gesicht.
Wie hält er sich nur so aktiv? Er raucht nicht, trinkt nicht, spielt Schach, fährt Ski und sogar noch selbst nach Kroatien - das muss stimmen, auf seinem Visitenkarterl steht eine Nummer "Handy Kroatien". Der AZ sagt er zum Abschied: "Geben'S mir Ihre Handynummer, ich schick Ihnen jeden Tag einen Witz!" Sein Ernst.
Kostprobe
Ein Mann geht in ein ganz teures Autohaus – da gibt’s nur Rolls Royce, Bentley, Ferrari Buggatti und so weiter und so fort. Und er sigt da im Eck einen roten Ferrari steh, hoid den Verkäufer und sagt: "Sie, wos kostn der rote Ferrari?" "Ja", sagt er, "der hod amoi 150.000 kost, jetzt kost er nur no 100 .000. Mir ham den runtergsetzt jetzad scho a boor moi." "Ja", sagt der ander, "des basst. I hob des Geld in bar dabei, gfoin duad a ma aa – den kaaf i glei." Dann zählt er und zählt: 99.997. "Iatz fehln mir drei Euro. Aber de drei Euro kinnan S’ doch nochlassen bei 100.000?" "Naaa", hod er gsagt, "den hamma scho a boor moi runter gsetzt, aiso i muas de 100.000 ham."
"Duad ma leid, dann muas i ma’s überleng." Er nimmt sei Geld und steckts wieder ei. Na geht er naus auf d’Straß – da sitzt a Bettler draußn. Sogt er zu dem Bettler: "Du, leih ma drei Euro, i mecht ma a Auto kaffa." Sogt der Bettler: "Do host sechse, nimm ma aa oans mit." Siegfried Sandner