Bad Reichenhall: Hat wirklich nur einer schuld?
Mit zwei Freisprüchen und einer Bewährungsstrafe endet der Prozess um die eingestürzte Eishalle von Bad Reichenhall. Den Hinterbliebenen der 15 Toten bleibt ohnmächtiger Zorn „Hier saßen die Falschen auf der Anklagebank“, sagen die Verwandten. Der Staatsanwalt sieht keine Handhabe für neue Anklagen
Seine Augen wirken müde, die Lippen sind fest aufeinander gepresst – die Enttäuschung steht Robert Schmidbauer deutlich ins Gesicht geschrieben. Er hat beimEinsturz der Bad Reichenhaller Eishalle vor knapp drei Jahren seine beiden Töchter Christina und Marina verloren. Doch das Landgericht Traunstein sprach gestern nur einen der drei Angeklagten, den Konstrukteur des Hallendachs Walter G. (68), schuldig. Die beiden Mitangeklagten, Architekt Rolf R. (64) und Statiker Rüdiger S. (55), wurden dagegen freigesprochen. Sie treffe keine Mitverantwortung an der Katastrophe, so der Richter in seiner knapp 45-minütigen Urteilsbegründung.
„Das war ein Bauernopfer“, schimpft Robert Schmidbauer. Walter G. hatte von Anfang an seine Mitschuld eingestanden und sich reumütig gezeigt. Und ausgerechnet er wurde jetzt als einziger Angeklagter verurteilt: 18 Monate Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung in sechs Fällen entschied das Traunsteiner Landgericht. Die Strafe wurde für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
Walter G. machte sich angesichts der Katastrophe so schwere Vorwürfe, dass er zeitweise in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden musste. Bei dem Einsturz der Eishalle starben am 2. Januar 2006 zwölf Kinder und drei Frauen. 34 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Das Unglück machte ihn zum Witwer. Jetzt gab er dem Verurteilten die Hand
Robert Schromm, der seit dem Tod seiner Frau die beiden Töchter alleine großziehen muss, reichte Walter G. am Ende des gestrigen Verhandlungstags die Hand zur Versöhnung. „Der Bauingenieur ist nur ein Alibi-Angeklagter. Er war nur ein kleines Rädchen in einem großen Getriebe aus Filz und Klüngel“, betonte Schromm. Er ist der Ansicht, dass Walter G. eigentlich auch hätte freigesprochen werden müssen. „Dafür werde ich kämpfen und notfalls auch innerhalb der nächsten Tage Revision beantragen“, betont der Witwer.
Das Gericht sah es dagegen als erwiesen an, dass Walter G. bei Planung und Bau der Halle in den 70er Jahren drei gravierende Fehler unterlaufen waren: Der Bauingenieur habe die Statik falsch berechnet, die Dachträger seien zu groß und damit zu schwer gewesen, er habe die Subunternehmer beim Bau nicht sorgfältig genug überwacht und deshalb Fehler beim Zusammenleimen der Holzteile für die Dachkonstruktion nicht bemerkt. „Sie haben massiv gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen“, warf der vorsitzende Richter dem heute 68-Jährigen vor.
„Das Strafmaß ist akzeptabel“, betont Robert Schmidbauer und spricht damit für die Hinterbliebenen. Den Freispruch für Rolf R. und Rüdiger S. bezeichneten dagegen viele „als Schlag ins Gesicht“.
"Eine schallende Ohrfeige für die Stadt und den ehemaligen Bürgermeister"
Statiker und Gutachter Rüdiger S. sollte 2003 im Auftrag der Stadt Bad Reichenhall die Kosten für die Instandsetzung der maroden Halle abschätzen und bescheinigte ihr dabei auch einen „allgemein guten Zustand“ – ohne das Gebäude allerdings jemals genau unter die Lupe genommen zu haben. Er hätte energischer darauf dringen müssen, dass die Halle auf ihre Belastbarkeit untersucht wird, kritisierte das Gericht in seiner Urteilsbegründung. Doch das alleine reiche noch nicht für einen Schuldspruch aus.
Genauso entschied das Gericht bei Rolf R. Dem 64-Jährigen warf die Staatsanwaltschaft vor, er habe damals nicht hartnäckig genug nach einer Prüfstatik geforscht. Verantwortlich für das Unglück seien noch ganz andere Personen , betonte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Unverholen übte er Kritik an der Stadt Bad Reichenhall, die über Jahrzehnte hinweg alle Warnungen und Hinweise aus der Bevölkerung in den Wind geschlagen habe. Statt das Dach genau zu prüfen oder die Belastbarkeit des Dachs zu reduzieren, habe man nur tatenlos zugesehen. Bei entsprechenden Maßnahmen wäre die Halle zwar auch eines Tages eingestürzt, aber dies wäre vermutlich deutlich später geschehen, so das Gericht.
„Das ist eine schallende Ohrfeige für die Stadt und ihren damaligen Oberbürgermeister“, erklärt einer der Verteidiger, der Münchner Rechtsanwalt Thomas Pfister, „es ist eine gute Grundlage für weitere Ermittlungen, um weitere Verantwortliche vor Gericht zu stellen.“
Doch der zuständige Staatsanwalt Günter Hammerdinger wiegelte gestern noch im Gerichtssaal ab. Er sehe momentan keine Möglichkeit, den Ex-OB oder andere leitende Mitarbeiter der damaligen Stadtverwaltung nach so vielen Jahren noch zur Verantwortung zu ziehen.
"Alle wussten, wie marode die Halle war"
Verbittert reagierte Erich Schmidbauer, der Großvater von Christine und Marina, auf das Gebahren der Staatsanwaltschaft. „Die Ermittlungen muss ein neuer Staatsanwalt übernehmen“, fordert der frühere Hauptkommissar. „Ich war 40 Jahre Polizist, aber zu diesem Staatsanwalt hab’ ich nicht mehr Vertrauen als zu einem aus Simbabwe“, sagt der ehemalige Chef der Polizeiinspektion Freilassing frustriert.
Zwei Jahre wurde ermittelt, 5000 Akten umfassen die Unterlagen – doch verurteilt wurde letztendlich nur ein einziger Verantwortlicher. „Da hätten mindestens 15 weitere auf der Anklagebank sitzen müssen“, betont der 1. Polizeihauptkommissar a.D. Die eigentlichen Schuldigen müsse man im Rathaus suchen. Doch von der Stadtverwaltung war gestern niemand im Gerichtssaal. „Der Ex-OB und alle anderen haben gewusst, wie marode die Halle war, dass Wasser durchs Dach lief“, sagt Erich Schmidbauer. „Doch der Haushalt von Bad Reichenhall war genauso marode wie die Eishalle, und deshalb ist nicht rechtzeitig etwas unternommen worden.“
Ralph Hub
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