AZ-Kommentar: Kampf ums Maximilianeum - wird Grün das neue Weiß-Blau?

Die Landtagswahl dürfte die spannendste der Nachkriegszeit werden. Der CSU droht ein Fiasko – weil sich die Parteioberen verzockt haben. Ein Kommentar.
von  Ralf Müller
Das Maximilianeum in München: Die Landtagswahl am Sonntag könnte in Bayern und im Landtag die politische Tektonik verschieben.
Das Maximilianeum in München: Die Landtagswahl am Sonntag könnte in Bayern und im Landtag die politische Tektonik verschieben. © imago

München - Es gibt viele gute Gründe, Umfrageergebnissen zu misstrauen. In einer ganzen Reihe von Fällen – vom Brexit bis zur Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten – lagen die Demoskopen in den vergangenen Jahren falsch. Darin liegt eine der beiden letzten Hoffnungen der CSU für die Landtagswahl am Sonntag.

Beide Volksparteien erwarten am Sonntag nichts Gutes

Wenn die seit 60 Jahren den Freistaat regierende CSU wieder die absolute Mehrheit erringt, sollten die Meinungsforscher ihre Institute zusperren. Sie ermittelten zuletzt für die CSU Zustimmungswerte, die von der Parlamentsmehrheit mehr als zehn Prozentpunkte entfernt sind. Wenn Prognosen so wenig mit der Realität zu tun haben, könnte man auf sie verzichten.

Jedenfalls erwarten beide Volksparteien am Sonntag nichts Gutes. Einen Tag später hat die CSU eine Vorstandssitzung anberaumt. Hat es einen Grund, warum danach "eine Pressekonferenz" angekündigt wurde statt wie üblich ein Presseauftritt des Partei-Chefs Horst Seehofer? Die Bayern-SPD hat eine PK am Montag mit dem Hinweis abgesagt, die Landesvorsitzende Natascha Kohnen müsse an einer Vorstandssitzung in Berlin teilnehmen.

CSU hofft auf unentschiedene Wähler

Einer immerhin weiß genau, was am Sonntag zu erwarten ist: Der Vorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, zeigte sich am Freitag davon überzeugt, dass es für eine Koalition mit der CSU reichen werde. Falls nicht, müsse man noch die FDP dazunehmen. Schwache Hoffnungen der CSU beruhen zudem auf den hohen Anteil der immer noch unentschiedenen Wähler und der Angst vor Veränderungen. Würden sie wirklich bereit sein, den stabilen Freistaat Bayerns in Chaos zu stürzen, indem sie ihm eine mehr oder weniger handlungsfähige Koalition, womöglich noch mit drei Partnern aufzwingen? Und obendrein Bayern in Berlin schwächen? In den letzten Wochen des Wahlkampfs war dies eine zentrale Botschaft von Ministerpräsident Markus Söder.

Doch Angst zu machen vor Veränderungen funktioniert in Bayern nicht mehr so richtig. Zumal gerade die CSU den Menschen bei jeder Gelegenheit Flexibilität eintrichtert.

Die CSU verliert ihren Nimbus der Einzigartigkeit

Wer sich nicht verändert, wird verändert, heißt die Botschaft mit Blick auf die Umwälzungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Da sollen Veränderungen gut, ja unvermeidlich sein, in der Staatsregierung aber nicht? Dahinter steht ein wenig die selbstherrliche Einschätzung von Franz Josef Strauß, die CSU könne das bisserl Opposition auch noch gleich selbst mit erledigen. In letzter Zeit war das ja auch so.

Den Nimbus der Einzigartigkeit hätte die CSU ohnehin früher oder später verloren, sagen Politologen. Die Zersplitterung der Gesellschaft lässt die Volksparteien dahinschmelzen wie Vanilleeis im Hitzesommer 2018. Das Wählerpotential der CSU wird von drei anderen Parteien – Freie Wähler, FDP und AfD – ins Visier genommen. Viele Zugezogene fühlen sich der Gleichung "Bayern gleich CSU" nicht mehr verpflichtet. Die junge städtische Wählerschaft hat sich weit vom christsozialen Gedankengut entfernt. In manchen großstädischen Wahlbezirken ist Grün das neue Schwarz. Freilich hat die CSU den generellen Erosionsprozess durch einen unglücklichen Kurs in den vergangenen zwei Jahren zusätzlich beschleunigt.

Nichts ist am Sonntag unmöglich

Im Berliner Kanzleramt mag wegen der Probleme der Schwesterpartei klammheimliche Freude herrschen, was freilich kurzsichtig wäre. Ohne die stets überdurchschnittlichen Wahlergebnisse der CSU in Bayern wäre die Union bundesweit erheblich schwachbrüstiger als dies ohnehin der Fall ist.

Nichts ist am Sonntag unmöglich, nicht einmal ein vorgezogenes politisches Halloween in Gestalt eines Vier-Parteien-Anti-CSU-Bündnisses unter einem grünen Ministerpräsidenten. Der Blick auf Baden-Württemberg zeigt, wie es kommen kann.

Es hat wohl noch keine bayerische Nachkriegswahl gegeben, die so offen war wie diese. Aber was auch immer am Sonntag passieren wird, der weiß-blaue Himmel wird den Bayern nicht auf den Kopf fallen – ausgenommen vielleicht einigen CSU-Platzhirschen, die sich vergaloppiert haben.

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