AZ-Interview zum Beruf der Hebamme: Geburtshilfe ist heute keine Geburtshilfe mehr

München - Geburtshelferin Astrid Giesen ist Vorsitzende des Bayerischen Hebammen-Landesverbands.
Frau Giesen, das bayerische Gesundheitsministerium wirbt mit dem neuen Hebammenbonus, bei dem jede Geburtshelferin 1.000 Euro pro Jahr erhält. Ist das eine tatsächliche Entlastung?
ASTRID GIESEN: Eine Entlastung ist es sicher nicht. Ich glaube auch nicht, dass es so gemeint ist. Ich denke, es ist eine Anerkennung für die Hebammen, die Geburtshilfe machen. Tragisch an diesem Bonus finde ich, dass er nicht für die angestellten Hebammen gilt, sondern nur für die freiberuflichen. Die angestellten Hebammen arbeiten unter genauso schwierigen Umständen. In den Kliniken sind zehn Prozent der Stellen nicht besetzt.
In Bayern gibt es mehr freiberufliche Hebammen, sogenannte Beleghebammen, als angestellte. Ist die Arbeitsbelastung unterschiedlich?
Die Beleghebammen arbeiten teils über ihre Grenzen hinweg. Es ist nicht so ungewöhnlich, dass sie ins Burnout rutschen. Man muss aber ehrlich sagen, auch die angestellten schieben Überstunden monatelang vor sich her.
Astrid Giesen. Foto: ho
Die Staatsregierung hat ein Förderprogramm zur Geburtshilfe für 30 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Sind die Maßnahmen sinnvoll?
Man hat den Kommunen sehr viel Freiheiten gelassen, wie sie das Geld ausgeben. Es gibt Kommunen, die machen das sinnvoll und es gibt Kommunen, die machen das nicht sinnvoll. Ich habe zum Beispiel gehört, dass es Krankenhäuser gibt, die sich von dem Geld Kreißbetten kaufen wollen. Das tut mir weh, denn es ist Aufgabe der Klinik, für das Equipment zu sorgen. Ich kann nur hoffen, dass die Kommunen das stoppen.
Wofür wäre das Geld denn sinnvoll angelegt?
Im klinischen Bereich müssen Hebammen viele Bereitschaftszeiten abdecken, die nicht von den Krankenkassen vergütet werden. Da könnte man zum Beispiel einen Bereitschaftsbonus einführen. Genauso sinnvoll wäre eine Koordinierungsstelle für die Wochenbettbetreuung.
Stichwort Hebammenmangel: Wo ist das Problem groß?
Bis vor ein, zwei Jahren hatten wir fast nur im städtischen Bereich Probleme, vor allem in München. Das hat sich verändert. Es gibt sowohl im städtischen als auch im ländlichen Bereich Mangelversorgung.
Was wünschen Sie sich von der künftigen Staatsregierung?
Als erstes muss die Ausbildung reformiert werden, da ist jetzt auch der erste große Schritt gemacht worden: Wir sollen in Bayern Hochschulstandorte bekommen.
Wird die akademische Ausbildung neue Hebammen locken?
Es ist ein sehr dringender Schritt. Ein weiterer Punkt im klinischen Bereich ist, dass sich die Geburtshilfe verändern muss. Die Geburtshilfe, die jetzt betrieben wird, ist keine mehr. Es ist Geburtsmedizin. Und da sehen sich die Hebammen nicht. Sie sehen sich nicht als Assistenten der Ärzte, sondern als Förderer der natürlichen Geburt.
Und dieser Aufgabe können sie jetzt nicht nachkommen?
ein. Und dann kommt die Personalsituation hinzu. Die Hebammen sagen, sie wollen so nicht mehr arbeiten und gehen.
Wie viel mehr Hebammen braucht es?
Wir haben zehn Prozent der Stellen in den Kliniken nicht besetzt, also mindestens zehn Prozent mehr. In Deutschland ist die Personaldecke an Hebammen außerdem nur halb so groß wie in anderen EU-Ländern. Da bräuchten wir also nochmal 100 Prozent mehr. Das ist der Idealfall. Aber da werden wir irgendwann hinkommen müssen, um eine gute Qualität vorhalten zu können.
Dialog mit der Politik
Bei einer Podiumsdiskussion des Bayerischen Hebammenverbandes am Mittwochabend haben sich Landtagspolitiker die Sorgen der Hebammen angehört. Dabei musste vor allem CSU-Mann Seidenath als Vertreter der Staatsregierung viel Kritik einstecken: Als er sagte, den Fall, dass eine Hebamme fünf Gebährende gleichzeitig betreue, "gebe es nicht", zeigten sich die Hebammen im Publikum empört.
Foto (v.l.): Ates Gürpinar (Linke), Detlev Werner (FDP), Ute Gössner (Freie Wähler), Astrid Giesen, Achim Bogdahn vom BR, Bernhard Seidenath (CSU), Kerstin Celina (Grüne) und Marietta Eder (SPD).
Seidenath verwies zur Lösung der Probleme neben dem "Zukunftsprogramm Geburtshilfe" auf eine Begrenzung des Regressrisikos für Hebammen sowie Sicherstellungszuschläge für den ländlichen Raum. Beherrschende Themen waren zudem vor allem die Schließungen von Geburtsstationen, schlechte Bezahlung, hohe Arbeitsbelastung sowie die Akademisierung des Hebammenberufs auch in Bayern, die viele Geburtshelferinnen für längst überfällig halten.