AZ-Interview: Deshalb floriert Schwarzarbeit in der Pflege
Private häusliche Pfleger arbeiten fast immer illegal. Wieso? Das BRK über Kosten, fehlende Alternativen – und warum es legale Träger bei der Werbung im Ausland schwer haben.
Der gelernte Altenpfleger Wolfgang Obermair (62) ist stellvertretender Landesgeschäftsführer beim Bayerischen Roten Kreuz.
AZ: Herr Obermair, nach Einschätzung häuslicher Pflegeverbände arbeiten 90 Prozent der privaten Betreuungspersonen aus dem Ausland schwarz. Wie kann das sein? Wird es ausländischen Pflegekräften so schwer gemacht, legal zu arbeiten?
WOLFGANG OBERMAIR: Bei Pflege- und Haushaltshilfen im Privathaushalt, die nicht bei einem Träger wie dem BRK angestellt sind, gibt es zwei Modelle: Die einen sind absolut legale Beschäftigungen. Es besteht ein lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Dann gelten aber auch alle deutschen Schutzgesetze, beispielsweise zur Arbeitszeit und zum Pflegemindestlohn. Damit ist dies auch kein "Billigmodell".
Und wie sieht das "Billigmodell" aus?
Das ist die zweite Variante, die Schwarzarbeit: Die hat auf den ersten Blick für den Nutzer den Vorteil, kostengünstiger zu sein als alle anderen Modelle. Das ist aber nun mal der Markenkern der Schwarzarbeit!
Pflegeforscher sagen, Deutschland sei auf die privaten Betreuungskräfte angewiesen; ambulante Pflegedienste könnten den Bedarf in keiner Weise auffangen. Teilen Sie diese Ansicht?
Ambulante Dienste können phasenweise keine neuen Patienten aufnehmen; in Pflegeeinrichtungen bleiben Plätze leer, weil Pflegepersonal fehlt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn Menschen, die es sich leisten können, auf private Haushalts- und Betreuungskräfte, häufig aus dem Ausland, zurückgreifen.
Obermair: "Pflegekraftmangel hat sich zugespitzt"
Hat das bisher noch niemand bemerkt?
Schwarzarbeit in der Pflege ist kein neues Phänomen. Die Beschäftigung privater Haushalts- und Betreuungskräfte kennen wir schon seit langem. Wegen des Pflegefachkraftmangels halten wir es aber sehr wohl für wahrscheinlich, dass die Zahl solcher privaten Betreuungskräfte zunimmt.
Glauben Sie, dass die private häusliche Pflege – und auch der hohe Anteil an Schwarzarbeit – eine Reaktion auf fehlende Angebote in der ambulanten Pflege sind?
Insgesamt kann man derzeit wohl immer noch von einem flächendeckenden Angebot an ambulanten Diensten und einem lückenlosen Angebot an stationären Pflegeplätzen in Bayern ausgehen. Der Pflegekraftmangel hat sich in letzter Zeit jedoch stark zugespitzt und derzeit ist eine echte Lösung nicht absehbar.
Der Pflegenotstand ist in aller Munde. Doch das BRK beklagt, dass es auch den offiziellen Trägern schwer gemacht wird, Kräfte aus dem Ausland zu holen. Ist das nicht paradox?
Ja, das ist paradox. Das BRK fordert deshalb, ein staatlich gefördertes Programm zur Anwerbung ausländischer Pflegekräfte. Die Pflegeversicherung muss zudem dringend weiter reformiert werden: Wir brauchen eine regelmäßige Anpassung der Pflegeversicherungsleistungen an die allgemeine Preis- und Tarifentwicklung. Hohe bürokratische Hürden und die Überregulierung des gesamten Pflegebereiches müssen endlich angepackt werden. Und die Sektorengrenzen zwischen der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung müssen überwunden werden.
Welche Hürden haben Pflegekräfte aus dem Ausland? Wie lange dauern die Verfahren?
Das beginnt mit einfachen Dingen, wie der zeitraubenden Gleichwertigkeitsprüfung von Berufsabschlüssen bei den Regierungen, mit dem aufwendigen Verfahren des Nachweises des Sprachniveaus, bis hin zu den Visaverfahren in den Botschaften der Herkunftsländer. Das gesamte Verfahren erstreckt sich auf weit über ein Jahr. Wir fordern, dass entsprechende staatliche Stellen sich der gesamtgesellschaftlichen Dimension der Zunahme älterer und pflegbedürftiger Menschen bewusst werden.
Was meinen Sie konkret?
Es gilt – noch rechtzeitig – eine Spaltung der Gesellschaft in Wohlhabende, die sich privat versorgen lassen, und in eine pflegerische Versorgung auf einfachem Standardniveau zu verhindern.
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