Axt-Angriff in Würzburger Zug: Als der Terror nach Bayern kam
Würzburg - Der Angriff des 17-jährigen Afghanen kommt völlig unerwartet. Mit einer Axt und einem Messer greift der Flüchtling in einem Regionalzug in Bayern auf dem Weg nach Würzburg plötzlich vier Reisende an und verletzt sie schwer. Anschließend flüchtet er zu Fuß, attackiert eine Spaziergängerin und wird schließlich in den Main-Auen von zwei Polizisten erschossen. Davor soll er mit erhobenen Waffen auf sie zugestürmt sein und "Allahu Akbar" (Gott ist groß) gerufen haben.
Die Tat des Jugendlichen reklamierte später die islamistische Terrormiliz IS für sich, in einem Video bekannte sich der 17-Jährige zum IS. Am 18. Juli jährt sich die Tat.
Weshalb wurde der Flüchtling zum Terroristen?
Der Schock nach dem Anschlag vor den Toren von Würzburg saß tief: Woher kam der plötzliche Hass des Jugendlichen, der noch Tage vorher seinen Pflegeeltern und vielen Flüchtlingshelfern im bayerischen Ochsenfurt (Landkreis Würzburg) ganz normal vorkam, eine Lehrstelle in Aussicht hatte und als vorbildlich integriert galt? Hat der Tod eines Freundes in der Heimat Afghanistan ihn möglicherweise so aus der Bahn geworfen, dass ihm der Angriff als einzig richtige Reaktion darauf vorkam? Antworten darauf wird es nicht geben, denn der Attentäter ist tot.
Die Ermittlungen hatte kurz nach dem Anschlag die Bundesanwaltschaft übernommen. Einem Sprecher zufolge laufen die Ermittlungen noch immer. "Da gibt es keinen neuen Stand", ein Ende des Verfahrens sei noch nicht absehbar.
Seine damaligen Pflegeeltern und auch der Helferkreis Ochsenfurt wollen nicht mit der Presse reden. Der Bürgermeister von Ochsenfurt, Peter Juks, ist froh, dass Flüchtlinge in der Region trotzdem nicht unter Generalverdacht stehen. "Es gab zwar eine Verunsicherung am Anfang, aber ansonsten war die Bevölkerung sehr besonnen", sagt der Politiker heute. Und hilfsbereit: Die 250 bis 300 Flüchtlinge in der Region werden intensiver umsorgt als vorher, sagt Juks. Die Stadt hat dafür eigens eine Vollzeitstelle bezahlt. Abgesehen davon: "Es ist wieder ganz normaler Alltag."
Und doch markierte die Axt-Attacke den Anfang einer Veränderung: Das Sicherheitsgefühl der Deutschen gerät von Würzburg aus ins Wanken. Vier Tage nach dem Anschlag in der Fußgängerzone von Nizza mit 86 Toten hat die Axt-Attacke den Terror plötzlich nach Deutschland geholt. Nur wenige Tage später folgt der erste IS-Selbstmordanschlag auf deutschem Boden - vor einem Musikfestival im bayerischen Ansbach. "Würzburg, der Amoklauf in München mit neun Toten, Ansbach - und alles innerhalb von nur einer Woche. Das hat das subjektive Sicherheitsgefühl mit einem Schlag verschlechtert", sagt Unterfrankens Polizeipräsident Gerhard Kallert ein Jahr später.

Die Opfer brauchen immer noch regelmäßige medizinische und psychotherapeutische Behandlung
Am 18. Juli 2016 waren mehr als 300 Einsatzkräfte von Rettungsdiensten, Polizei und Seelsorgern im Einsatz. Zunächst unter sehr erschwerten Bedingungen: "Wir wussten lange nicht, ob wir es mit nur einem oder mehreren Tätern zu tun hatten. Die ständige Bedrohung war unser größtes Problem", sagt Uwe Kinstle von der Johanniter-Unfall-Hilfe, der als Abschnittsleiter am Tatort war.
Die Opfer der Attacke kämpfen noch immer mit den Spätfolgen - eine Würzburgerin und vier Touristen aus Hongkong. Die chinesischen Eltern waren mit ihrem Sohn und ihrer Tochter sowie dem Verlobten der Tochter auf Urlaubsreise in Deutschland. Der Vater wurde von dem Attentäter am Bauch, das Paar am Kopf schwer verletzt. Die Mutter kam mit leichten Verletzungen davon, der Sohn blieb körperlich unversehrt.
Hans-Peter Trolldenier von der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft in Würzburg hat die Opfer erst vor wenigen Wochen in Hongkong besucht. "Es geht ihnen gut, aber sie brauchen noch immer regelmäßige medizinische und psychotherapeutische Behandlung", sagt der 72-Jährige. Der Verein hatte 2016 viele Spenden gesammelt und am Ende mehr als 15.000 Euro an die Familien ausgezahlt, damit sie sich während des monatelangen Klinikaufenthaltes in Deutschland sowie zurück in Hongkong und zunächst ohne Job finanziell über Wasser halten konnten.
Mittlerweile arbeitet das junge Paar sogar wieder. Trotz der schrecklichen Ereignisse seien sie sehr dankbar, haben die beiden vor wenigen Tagen per E-Mail an Trolldenier geschrieben. Dankbar für all die Hilfe und die Solidarität, die sie nach dem Angriff in Deutschland erfahren haben. Und sie - die Verlobte - könnte sich sogar vorstellen, mal wieder nach Würzburg zu reisen.
Minutenprotokoll des Anschlags – das passierte in dem Regionalzug
- Kurz vor 21 Uhr verlässt die Regionalbahn nach Würzburg den Bahnhof in Ochsenfurt. 24 Fahrgäste sitzen in dem Zug.
- Ein 17 Jahre alter Flüchtling geht auf die Toilette des Zuges und bereitet sich auf einen Anschlag vor.
- Nur wenige Minuten später stürmt der Jugendliche mit einer Axt und einem Messer auf eine asiatische Touristengruppe zu. Durch seine Attacke werden zwei Männer und eine Frau schwer, eine zweite Frau leicht verletzt.
- 21.10 Uhr: Der erste Notruf geht bei der Polizeieinsatzzentrale ein. Der genaue Standort des Zuges ist da noch nicht bekannt.
- Jemand zieht die Notbremse. Der Täter lässt von seinen Opfern ab und flüchtet aus dem Zug.
- 21.13 Uhr: Der zweite Notruf. Der Zeuge kann Standort und Ausmaß des Ereignisses benennen und eine Täterbeschreibung geben.
- Der 17-Jährige greift auf seiner Flucht eine Spaziergängerin, die mit ihrem Hund Gassi geht, an und verletzt sie schwer.
- 21.20 Uhr: Polizisten finden die schwer verletzte Frau.
- 21.21 Uhr: Der erste Krankenwagen kommt in der Nähe des gestoppten Zuges an.
- 21.55 Uhr: Zwei Beamte eines Spezialeinsatzkommandos schießen auf den Täter und verletzen ihn tödlich. Unklar ist wegen unterschiedlicher Zeugenaussagen, ob ein zweiter Täter noch auf der Flucht ist.
- Gegen 22.00 Uhr: Eine Sportarena in der Nähe wird als Betreuungsort für die unverletzten Betroffenen festgelegt; 15 Fahrgäste stehen unter Schock.
- 00.00 Uhr: Die Polizei gibt Entwarnung und schließt einen "möglichen weiteren Täter" aus.
- 02.09 Uhr: Der medizinische Einsatz vor Ort ist offiziell beendet.
- Polizei und Landeskriminalamt suchen in der Nacht und am nächsten Tag weiter nach Spuren und finden dabei in einem Gebüsch in den Main-Auen das Handy des Täters und die Sim-Karte.
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