Ausweitung der Faustkampfzone
NÜRNBERG - Edward Albees Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ wird in Erlangen zum sehenswerten Nahkampfspektakel.
Wer schon eine Runde schattenboxt, noch bevor das erste Wort gesprochen ist, kann es mit dem Verbalgemetzel nicht so ernst meinen, oder? Dass es nach funkelnden Komödien-Pointen und glänzenden Scheinhöhepunkten am Ende doch noch weh tut in Edward Albees großraumerprobten Salon-Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (zuletzt mit Michaela Domes in Fürth), erweist sich als kluger Dreh in Constanze Kreuschs Erlanger Inszenierung.
Viel bleibt einem Regisseur beim Ausloten des Stückes zwischen Hollywood-Ikonen, Ostküsten-Realismus und nacktem Gosch-Kasten ohnehin nicht übrig. Kreusch wählt einen handfesten Mittelweg: Auf der Bühne des Markgrafentheaters türmt Ausstatterin Petra Schlüter-Wilke im Hintergrund eine durchdesignte Küchen- und Badlandschaft (da warten dann die nicht Anwesenden auf ihren Einsatz), vorne gruppiert sie gleich vier Ledersofas sowie zwei Beistelltische und Alkoholika-Tränken auf dem roten Teppich. Dazwischen herrscht Leere als Laufsteg und Boxring.
Die Kampfarena also ist abgesteckt fürs bitterböse Gesellschaftsspiel, mit dem die Mitternachts-Party für die verwöhnte Professorentochter Martha erst beginnt. Nachdem sie und Jammer-Gatte George das Nachwuchsakademikerpaar Nick und Putzi mit oberflächlichem Geplauder angewärmt haben, fließen Cognac und Tränen, zerschellen Gläser und Flaschen, spritzen Whiskey und Erdnüsse, lösen sich Zigaretten und Illusionen in Rauch auf.
Dabei verteilt Albee etliche Siege nach Punkten, meist an Martha, Königin im Vorpreschen und Zuschlagen. Anne Cathrin Buhtz (ein Gast-Glücksgriff) spielt virtuos auf der Tonleiter der Selbstinszenierung: Sie motzt mit angerautem Alt und säuselt mädchenhaft in den Höhen, schwankt je nach Gegenüber zwischen verführerischer Laszivität und Froststarre. Großartig, mit welcher resignierten Geschäftigkeit sie den Seitensprung mit Nick angeht; ihre Spielmüdigkeit gegen Ende bereitet sie als langes Decrescendo vor.
Hermann Große-Bergs George hingegen verweigert sich lange dem Konversationston, absolviert Floskeln und den coolen College-Ton desinteressiert. Erst wenn er beginnt, Putzi und Nicks Pseudo-Glück anzuzapfen, weicht seine betretene Maske der wachen Machermiene.
Da ist Steffen Riekers aufgegeelter Nick, der als Musterschüler mit Hasen-Gürtelschnalle antrat und sich mit stechendem Gier-Blick zum Raubtierdompteur aufschwang, längst wieder ein düpierter Junge — nach wie vor mit dem ungeliebten Cremetörtchen-Frauchen an seiner Seite. Linda Foerster überlässt ihre Putzi nie der Karikatur, weil sie Zähneblecken, Glubschaugenlächeln und hysterische Kotzattacken mit frecher Abgründigkeit federt. Hinterm Fransenpony lauert ein abgebrühter Pragmatismus als Überlebensstrategie.
Am Ende also, wenn George zum Knock Out ausholt, verliert Kreuschs Inszenierung alles Derbe, Krawallige, Laute. George wie Martha sind da von einer schmerzlichen Zärtlichkeit, die berührt — weil sie eine Liebe skizziert, die im Ehekampf unmöglich geworden ist.Georg Kasch
Wieder am25. Januar, 11./12. und 22. Februar, Karten Tel. 09131/ 86 25 11
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