Aufstand gegen Rechts: Bürger fühlen sich im Stich gelassen

Der Bürgermeister Karl-Willi Beck kritisiert die Richter, die einen Marsch der Neo-Nazis nicht stoppten
von  Abendzeitung
Mit Holzkreuzen erinnern Teilnehmer der Protest-Kundgebung vor dem Friedhof von Wunsiedel an die Opfer rechter Gewalt.
Mit Holzkreuzen erinnern Teilnehmer der Protest-Kundgebung vor dem Friedhof von Wunsiedel an die Opfer rechter Gewalt. © dpa

WUNSIEDEL - Der Bürgermeister Karl-Willi Beck kritisiert die Richter, die einen Marsch der Neo-Nazis nicht stoppten

„Wir sagen Ja zur Würde des Menschen“, sang der Nürnberger Liedermacher Jo Jasper am Samstagnachmittag zum Auftakt der Kundgebung des Wunsiedler Bündnisses gegen Rechtsextremismus und traf damit den richtigen Ton. Auf dem Markplatz und zum anschließenden Gedenkmarsch hatten sich mehrere Hundert Menschen versammelt, um der Opfer des „Todesmarsches“ vom KZ Buchenwald ins KZ Flossenbürg vom April 1945 zu gedenken, der auch über Wunsiedel führte. Ebenfalls gedacht wurde der Opfer rechter Gewalt seit 1990, und natürlich wurde heftig gegen den zeitgleich stattfindenden „Trauermarsch“ mit 600 Teilnehmern aus dem rechten Spektrum für den verstorbenen NPD-Vizechef Jürgen Rieger protestiert.

Wunsiedels Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU) fand auf dem Marktplatz deutliche Worte. Dass die Richter des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in München das vom Landratsamt Wunsiedel ausgesprochene und vom Verwaltungsgericht Bayreuth bestätigte Verbot des „Jürgen-Rieger-Gedenkmarsches“ aufgehoben haben, sei „nahezu eine Provokation der aktiven Bürgerschaft“. Es sei dadurch eine Situation in Wunsiedel entstanden, die niemand verstehen könne.

„Der Richterspruch macht uns alle betroffen“, sagte Beck. Er könne nicht verstehen, warum man den Kräften recht gebe, die die Demokratie abschaffen wollen. Ziel müsse es sein, ganz klar ans Licht zu bringen, für was Rieger gekämpft habe – „nämlich für die Glorifizierung des Kriegsverbrechers Rudolf Heß“, schimpfte Beck. Der als Mann deutlicher Worte bekannte Bürgermeister scheute sich nicht, den Richtern in München eine klare Verantwortung zuzuweisen: Ihr Richterspruch habe dazu geführt, dass die Würde vieler während der NS-Zeit getöteter Menschen verletzt worden sei.

Ein deutliches Signal schickte der Wunsiedler Bürgermeister auch an die Bundespolitik: Das Verbotsverfahren gegen die NPD und deren „menschenverachtende Politik“ müsse wieder aufgenommen werden. „Dann muss man mit unseren Steuergeldern nicht auch noch deren Politik des Verbrechens unterstützen“, betonte Beck mit Blick auf die rund 1500 Polizisten, die am Samstag in der oberfränkischen Stadt im Einsatz waren.

„Wunsiedel ist bunt, nicht braun“ – dieses Motto hat sich die Festspielstadt seit vielen Jahren auf ihre Fahnen geschrieben. Auch eine gleichnamige Bürgerinitiative (BI) hat sich vor einigen Jahren gegründet und veranstaltet alljährlich im August den „Tag der Demokratie“. Vor wenigen Monaten erst haben Bürgerinitiative und Bürgermeister die Theodor-Heuss-Medaille für ihren Kampf gegen Rechts bekommen. „Wir fühlen uns als Bürger im Stich gelassen“, kommentierte BI-Sprecher Karl Rost die Münchner Gerichtsentscheidung. Man müsse sich jetzt die Frage stellen, wie das alles weitergehe. „Bekommen wir nun eine Serie von Gedenken an Jürgen Rieger?“, fragte ein sichtlich betroffener Rost. Holger Stiegler

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