Auf die Couch, bitte!

NÜRNBERG - Überflüssige Ausgrabung: Am Staatstheater Nürnberg kann sich Andreas Baesler bei Donizettis Belcanto-Vehikel „Emilia di Liverpool“ nicht zwischen Thriller und Klamauk entscheiden.
Wer in der Zwangsjacke steckt, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Nachdem der doppelt gehörnte Edelmann und der zweifache Heiratsschwindler mit der Limousine ins Irrenhaus brettern, werden beide bald von Dr. Candida mit Fußfesseln an die kurze Leine genommen. Da kommt Stimmung auf — Schenkelklopfen wie in der Fürther Comödie!
Dabei befinden wir uns im Nürnberger Opernhaus, wo Gaetano Donizettis frühe Oper „Emilia di Liverpool“ ihre deutsche Erstaufführung erlebt. 1824 für Neapel geschrieben, musste die Story wegen Zensur- und Theaterforderungen so viele Vorgaben erfüllen, dass sie sich wie eine Genre-Parodie liest: In einer Einsiedelei nahe Liverpool begegnet Emilia rein zufällig ihrem totgeglaubten Vater, dem Ex-Verlobten und dem Mann, mit dem sie einst durchbrannte und der sie sitzen ließ. Dass Hass, Eifersucht und Reue auf Ebbelwoi-Humor und Altherrenwitze prallen, ist aber nicht nur dem Libretto geschuldet, sondern auch Regisseur Andreas Baesler, der den neapolitanischen Dialekt in den deutschen Dialogen mit Hessisch übersetzt und die Geschichte konsequent in die Klamotte treibt.
Im Panoramafenster der eleganten Nervenheilanstalt (Bühne: Harald Thor), wo Emilias Vertraute Candida als weiblicher Sigmund Freud alle mal auf die Couch schickt oder mit Spritzen ruhig stellt, zittern Filmsequenzen in Schwarzweiß, während der Ouvertüre wird raunend ein Mystery-Thriller angekündigt, Regielegende Alfred Hitchcock flaniert durchs Bild und die Figuren umschleichen sich, als müsste der Mörder unter ihnen sein. Die einzige Tote allerdings, Emilias Mutter, ist längst Asche in einer Urne, die zu Beschwörungszwecken ständig über die Bühne geschleppt wird.
Weil das Drama aber trotz Noir-Atmosphäre nicht sein darf, wird in den seifenopernden Sprechpassagen jeder noch so olle Klamauk ausgewalzt: Der schwerhörige Schwiegervater in Spe (Melih Tepretmez als spinnerter Schotte) verdreht Wort für Wort, Edelmann Don Romualdo (Rainer Zaun als dämliche Knallcharge) begrabbelt jede Frau, schließlich hopsen er und sein Nebenbuhler (mit Menjou-Bärtchen, aber ohne Stimme: Christopher Lincoln) in Zwangsjacken durch den Raum. Immerhin: Hrachuhí Bassénz singt die Titelrolle mit ihren Spitzentönen über weite Strecken so sicher, als ob Koloraturen ihr natürliches Verständigungsmittel wären. Auch Kurt Schober als nicht minder gurgelnder Vater-Bass schlägt sich beachtlich.
Wenn aber die Geschichte so unrettbar albern ist, dass selbst die Regie kapituliert, zu hohlen Gesten und dem Humorhammer greift — wozu das Ganze? Eine Musik, die das dürftige Libretto rechtfertigte, fehlt. In den komischen Passagen klingt „Emilia di Liverpool“ wie bei Rossini geklaut, ansonsten plätschert es gefällig, um sich momentweise melodramatisch zuzuspitzen, süffig-spritzig von Guido Johannes Rumstadt und den Philharmonikern serviert.
Das eigentlich Ärgerliche an dieser überflüssigen Premiere ist, dass sie ein falsches Zeichen setzt: Am Welttheatertag, an dem in Wuppertal auch Nürnbergs Schauspielchef Klaus Kusenberg gegen das Ende der deutschen Kulturlandschaft protestiert, es also um Ganze geht, zeigt Staatsintendant Peter Theiler ein Musiktheater, das in seiner Sinnlosigkeit öffentliche Subventionen hinterfragt. Niemand braucht eine Ausgrabung um der Ausgrabung willen. Was treibt Theiler dabei an? Koloraturverliebte Trüffelschweinerei? Oder die Sucht nach überregionaler Aufmerksamkeit? Vielleicht ein Fall für Dr. Candida: Auf die Couch, bitte! Georg Kasch
Wieder 4., 10., 25. April, Karten Tel. 01805/231 600