Auf der Bühne frivol, für den Bildschirm schrullig

AZ-Serie Teil 8: Karrieren, Promis, Perspektiven: Wie Theatermacher von Nürnberg aus die große Szene und die TV-Studios erobern konnten.
Als Sprungbrett für Traum-Karrieren hat das Nürnberger Schauspielhaus in den 50 Jahren seines Bestehens nicht so richtig gefedert. Eher war es Trainingslager, manchmal auch nur Parkplatz vor dem Aufbruch zu größeren Taten. Aber die Zahl der Prominenten, die zeitweise hier arbeiteten und heute kaum noch mit ihrem fränkischen Zwischenspiel in Verbindung gebracht werden, ist doch erstaunlich groß.
Vom Kinderstar zur "Schauspielerin des Jahres"
Die Schauspielerin Christa Berndl, 1932 in München geboren, ist das früheste und imponierendste Beispiel. Sie hatte schon eine Kinderstar-Karriere hinter sich, als sie mit 23 nach Nürnberg kam und hier (legendär ihr Auftritt als Orffs Bernauerin) mit kurzer Unterbrechung insgesamt sieben Jahre blieb. Zur deutschen „Schauspielerin des Jahres" wurde sie von den Kritikern erstmals 1972 gewählt, da konnte sie es sich bald leisten, zwischen München, Zürich und Hamburg pendelnd, gleichzeitig bei Revoluzzer Peter Zadek und im TV-Komödienstadl aufzutreten. Sie war überall gut, im BR-Dirndl wie als Offenbachs Kurtisane „Perichole“ am Hamburger Schauspielhaus. 1994 bekam sie den Eysold-Ring für ihren Auftritt in Herbert Achternbuschs „Der Stiefel und sein Socken".
Ausnahme-Talente konnten nur mühsam Wellen schlagen
Im großen Pool, der bis zur Scheidung der Theater-Ehe mit Fürth 1970 im Vergleich zu heute die dreifache Zahl künstlerischer Akteure aufwies, konnten die Ausnahme-Talente nur mühsam Wellen schlagen. Der junge Regieassistent Luc Bondy etwa, zusammen mit dem Nachwuchs-Bühnenbildner Rolf Glittenberg für zwei auffällige Produktionen (Fassbinders „Bremer Freiheit" und Ionescos „Stühle") zuständig, fühlte sich als Übersetzer-Assistent des zwei mal anreisenden Franzosen Jorge Lavelli etwas unterfordert – und machte alsbald tatsächlich Großkarriere als Peter Steins Nachfolger und Andrea Breths Vorgänger an der berühmten Berliner Schaubühne. Heute ist er Chef der Wiener Festwochen und Regisseur in Paris – oft mit Glittenberg als Partner.
Mit dem jungen Peter Handke an der Seite kam Regisseur Günther Büch 1965 nach Nürnberg, inszenierte sensationell dessen „Kaspar" und kehrte zu 14 Produktionen immer wieder von Berlin-Gastspielen zurück. Er starb mit nur 44 Jahren in Nürnberg und ist hier beerdigt.
Der Schauspieler Nicolas Brieger (heute international an den größten Häusern als Opernregisseur im Einsatz), machte neben Auftritten wie als Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe" erste Regieversuche mit Harold Pinter und traf auf Schauspielerin Barbara Petritsch (heute am Wiener Burgtheater).
Eine lange Kino-Karriere hatte Dieter Borsche bereits hinter sich, als er nach Nürnberg ins Ensemble kam. Da spielte der ehemalige Partner von Maria Schell und Ruth Leuwerik, der als Papst Pius XII. in Hochhuths „Stellvertreter“ 1963 in Berlin erstmals auf der Bühne beeindruckte, u.a. im damals überall angesetzten Zeitstück „Martin Luther und Thomas Münzer" von Dieter Forte, nannte dessen provokante Dialoge „auf Pointe geredeten Quatsch" und blieb, als Ehemann von Ulla Willick, bis zu seinem Tod 1982 am Wohnsitz Langwasser.
Ein Schweizer Filmstar als Regisseur
Hans Dieter Schwarze lockte Freunde aus Ruhrpott-Zeiten nach Nürnberg. Der Schweizer Filmstar Paul Bösiger, besonders bekannt aus der Verfilmung von „08/15", war schon da und schwenkte als Regisseur in die neue Ära ein. Sein Sohn Johannes war der erste „Bub“ im Kusz-Stück. Das hessische Schwergewicht Günter Strack (der nach zwei Jahren Nürnberg wieder verließ und große TV-Karriere in Serien machte) kam dazu und gar Elisabeth Volkmann. Die „Klimbim"-Schnattergans, später auch wunderbare Synchronstimme von Mutter Simpson, steuerte hier eine „seriöse" Karriere an und spielte Shakespeares „Was ihr wollt". Aber das blieb beim Versuch. Dafür hatte Raimund Gensel aus dem Ensemble sein Aha-Erlebnis, als er in den ersten Staffeln der TV-„Lindenstraße" den Aussteiger-Lehrer mimte und Popularität der anderen Art kennen lernte. Später kehrte er ans Fürther Theater und ans Gostner zurück.
Renan Demirkan debütiert mit Shakespeare
Renan Demirkan, heute nur als Autorin ein Begriff, kam für die Anfängerjahre nach Nürnberg und war hier die erste Schauspielerin mit türkischer Abstammung. Ihrem Debüt mit, natürlich, William Shakespeare folgte bald ein Abend mit eigenen Texten. Da hatte die TV-Ansagerin Sibylle Nicolai den Testlauf als Nürnberger Schauspielerin ohne Teleprompter schon hinter sich - und versuchte es im Kabarett der Lach- und Schießgesellschaft. Diesen Weg hatte Astrid Jacob bereits gewählt, die in den Sechzigern in Nürnberg Minna von Barnhelm und Lady Macbeth war. Heute führt sie gelegentlich Regie.
Der Mann für Übergewichts-Komik
Als Nachwuchsmann für Übergewichts-Komik war 1992 Jürgen Tarrach nach Nürnberg gekommen und spielte in Lew Bogdans einzigem Regie-Versuch, der französischen Klamotte „Die liebe Familie". Der deutsche Film entdeckte seine besondere Kamera-Präsenz erst danach.
Vom Schauspieler zum Intendanten
Auch bei den Strippenziehern hinter der Bühne sprechen Karrieren für Nürnberg. Schauspieler Achim Thorwald wurde Intendant (Würzburg, Wiesbaden, jetzt in Karlsruhe) wie auch Assistent Friedrich Schirmer (nach Freiburg und Stuttgart jetzt Chef am Schauspielhaus Hamburg, dem größten in Deutschland) und Regisseur Daniel Karasek (Generalintendant in Kiel). Betriebsbüro-Leiter Axel Beyer stieg zum Unterhaltungs-Chef von RTL und WDR auf, wo er das Mattscheiben-Entertainment auch mal ohne blockierende Niveau-Ansprüche vertrat. Und der junge Dramaturg Klaus Mißbach ist nach Stationen in Hamburg, Bochum und Zürich jetzt leitender Dramaturg des Wiener Burgtheaters.
Ach ja, auch das ist bemerkenswert: Brigitte Antonius, in den sechziger Jahren in Nürnberg zuständig für Frivolität aller Art, tauchte in der Daily-Soap „Rote Rosen" des ZDF als schrullige Tante auf.
Nürnberg hat 2009 keinen Promi – hier ist das Ensemble Star genug.
Dieter Stoll