Auch mal die Sau reinlassen

Anfang April verwandeln sich in Nürnberg und Fürth 16 Museen, Galerien, Kirchen und selbst der Flughafen in eine freie Wildbahn: für die Kunstschau untersucht »Tier+Mensch«
von  Abendzeitung
Will für ihre Nürnberger Installation auf dem AEG-Areal von Krabben-Netzen und Wannenpaddeln auf Hühnerkäfighaltung umschwenken: die Chinesin Ping Qin ist eine von 60 Teilnehmern von „Tier + Mensch“.
Will für ihre Nürnberger Installation auf dem AEG-Areal von Krabben-Netzen und Wannenpaddeln auf Hühnerkäfighaltung umschwenken: die Chinesin Ping Qin ist eine von 60 Teilnehmern von „Tier + Mensch“. © az

Anfang April verwandeln sich in Nürnberg und Fürth 16 Museen, Galerien, Kirchen und selbst der Flughafen in eine freie Wildbahn: für die Kunstschau untersucht »Tier+Mensch«

Es wird Deutschlands größter Tiergarten, ganz ohne Wassergraben und Gitterstäbe. Und – auch dieses Versprechen hat was – garantiert ohne Flocke und seine Familie. Anfang April verwandeln sich in Nürnberg und Fürth 16 Museen, Galerien, Kirchen und selbst der Flughafen in eine freie Wildbahn für „Tier+Mensch“. Und auch die Sau will man raus- beziehungsweise reinlassen in das großformatige Kunstprojekt. In einer fußballfeldgroßen Ausstellungshalle auf dem brachliegenden AEG-Areal, wo man die gesamte Auswahl mit 60 internationalen Künstlern überblicken kann, werden auch die Filderbahnfreunde vertreten sein. Ihr Video „Perlen vor die Säue“ lässt Schweine in einem nachgebauten Wohnzimmer zu Performance-Aktivisten aufsteigen. Wenn alles gutgeht, muss sich Nürnberg nicht mit der Video-Konserve begegnen: Es soll leibhaftig gegrunzt werden.

Falls es die Stress-Resistenz potenzieller Performer-Schweine und der Etat der Veranstalter hergeben. Hinter letzterem stehen gut zwei Monate vor Beginn von „Tier + Mensch“ noch Fragezeichen. Holte sich Projektleiterin Margit Mohr vom Galeriehaus doch bislang vielfach Absagen bei Stiftungen und Sponsoren. Mit 135000 Euro hatte man hoch gerechnet, bislang steht aber nur ein Etat von 70000 Euro zur Verfügung. Und damit manche Idee und Einladung noch auf der Kippe.

Das führte im Organisationsteam schon mal zur Einschätzung, dass Nürnberg eine „kunstunfreundliche“ Stadt ist. Und auch der beteiligte Galerist Heinz Meier, der seit 33 Jahren seine Galerie mit der blauen Tür betreibt, sieht gegenwärtig keine Aufbruchstimmung – „im Gegenteil, alles schläft eher wieder ein wenig ein“.

Mohr und Meier, die auch 2005 die beachtenswerte „Betonkunst“-Schau mit auf die Beine stellten, zögerten denn auch anfangs, als der Maler Matthias Otto vor zwei Jahren (Knut und die neue deutsche Tierliebe waren noch nicht geboren) die Idee herantrug. Der „nervliche Aufwand“ war noch gut abgespeichert, und, sagt Mohr aus Erfahrung, „eine halbe Sache gibt es nicht“. Die geplante Großschau, die von der kunst galerie fürth (als Elefantenhaus) über Germanisches Nationalmuseum und Krakauer Haus bis zum Tiergarten reicht, ist im Ergebnis also auch ein Überredungskunststück. Und: „Es spricht auf alle Fälle eine breite Bevölkerungsschicht ans“, meint Meier zu einem Thema, dessen Beziehungsreichtum von der Höhlenmalerei bis zu Tierversuchen reicht. Nicht umsonst klinkt sich das Bildungszentrum im Sommersemster umfangreich ein. Diskutiert über Gammelfleisch, informiert über Beuys’ Kojoten und Qigong-Übungen des „fliegenden Kranich“.

Für die Ausstellung filterte eine Jury aus 100 recherchierten Kandidaten 40 mit Regional-Quote aus, hinzu kommen 20 Akademiestudenten. Neben hiesigen Größen wie Bildhauer Christian Rösner und Malerin Silke Mathé sind auch Werke von Andy Warhol, Timm Ulrichs und Johannes Hüppi dabei. „Tier und Mensch“ sei sicher keine „repäsentative Auswahl, eher ein Querschnitt“, mit „Positionen, die man nicht erwartet“.

Die AEG-Halle mit ihren 2000 Quadratmetern soll „dem Ganzen ein Zentrum geben“. Florentijn Hofmans gelbe Riesenente könnte auf der Pegnitz schwimmen, die Chinesin Ping Qin plant mit Vogelkäfigen, Sabine Fassl zeigt mutierte „Bagbirds“ und Piero Steinle erschreckende „Paradiesvögel“: Israelisches Federzuchtvieh ohne Federn als reales Beispiel eines Laborzuchttieres und laufenden Putenschnitzels. Zwischen fotografierter Tintenfisch-Medusa, hölzernem Klammer-Krokodil und blutigem Amputations-Gefügel soll es alle Varianten der Irritation geben. „Ökologisch verbissen“ wollte man aber nicht rangehen. „Das wird nicht tierisch ernst“, versichert Meier, „das wird eine lebhafte Ausstellung.“ Andreas Radlmaier

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